Roman
vielleicht die Kontrolle verlieren und weinen.
»Warum hast du es ihr nicht erzählt?«
»Ich war feige, Martin, deshalb«, antworte ich. »Du kennst mich …«
Er erwidert: »Ich dachte, ich kenne dich«, und ich könnte weinen.
»Ich war die große Schwester, die in London wohnt, die Karrierefrau, die niemals etwas vermasselt oder Leute enttäuscht, aber ich habe dich enttäuscht.«
»Ja, das hast du.«
»Nach allem, was passiert ist – nach der abgesagten Hochzeit und deinem Auszug –, war es das Letzte, was du verdient hast. Ich hätte dir Ehrlichkeit geschuldet …«
Martin rutscht nervös auf seinem Platz herum, und seine Augen wandern hektisch hin und her, als habe er Angst davor, was er als Nächstes hören würde.
»Deshalb habe ich beschlossen, ehrlich zu dir zu sein. Ich meine, wirklich ehrlich. Ich muss dir was sagen, Martin.«
Kurz bevor die Worte meinen Mund verlassen wollen, kommt die Erleichterung. Mein Gott, warum habe ich das nicht schon viel früher getan? Ich hatte so viel Angst davor, den Kontakt ganz abzubrechen, alle Brücken einzureißen, ich war so selbstsüchtig und unaufrichtig. Wenn ich ihm das alles früher erzählt hätte – als er mich vor Wochen im Duke danach fragte –, dann hätte es ihm die Nachricht laut und deutlich vermittelt.
»Ich bin mit jemandem zusammen«, stoße ich schließlich hervor.
Martin sieht aus, als müsse er sich übergeben.
»Seit wann?«, fragt er.
»Seit sechs Monaten«, antworte ich.
»Seit sechs Monaten! Mit wem?«
»Mit Toby.«
»Was?« Dieses Mal ist es fast ein Flüstern. »Mit Toby, deinem Arbeitskollegen? Toby Delaney, den ich schon mal getroffen habe?«
Ich nicke langsam.
»Aber er ist verheiratet.«
»Ja.« Aus irgendeinem Grund überrascht mich sein Entsetzen über diese Tatsache. Für mich war das zweitrangig. Sicher ging es doch vor allem darum, dass ich mit jemandem zusammen war, oder? Aber nein. Martin starrt mich an, als würde er mich zum ersten Mal wirklich wahrnehmen – und als wäre das, was er sieht, nichts Gutes, als würden die letzten vierzehn Jahre nichts bedeuten, weil ich nicht die Frau bin, für die er mich gehalten hat.
»Er ist verheiratet, Caroline.«
»Ich weiß.«
»Er hat eine Frau. Die du kennst, nehme ich an?«
»Ja, und sie ist sehr nett.«
»Dann hast du eine Affäre mit dem Mann einer anderen? Mit einem verheirateten Mann? Ausgerechnet du?«
»Ja, aber …« Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich hatte nicht geahnt, dass die Tatsache, dass er verheiratet ist, ein Thema sein würde, das Thema. Ich hatte nicht geglaubt, dass es das sein würde, worauf ich mich konzentrieren müsste, oder dass es überhaupt eine Rolle spielen würde. Aber da ist Martins Gesichtsausdruck: Seine Lippen sind zurückgezogen, seine Nasenlöcher aufgebläht – Ekel. Er ekelt sich vor mir! Das ist der Mann, der immer dachte, ich könnte nichts falsch machen, der mich auf ein Podest gestellt hat, seine Caro, und jetzt? »Ich bin enttäuscht von dir.«
Er sagt es so leise.
»Wie bitte?«
»Ich sagte: Ich bin enttäuscht von dir. Ich bin schockiert. Von allen Menschen auf der Welt …« Er schüttelt den Kopf, kann es nicht fassen.
»Martin, ich wollte das alles nicht, um Himmels willen. Ich wollte nichts mit einem verheirateten Mann anfangen, ich wollte mich nicht verlieben …«
»Du bist in ihn verliebt?« Er blinzelt mich an.
»Ja. Ich meine, das war ich, das bin ich …«
»Herrje, Caroline.«
Jetzt weine ich.
»Ich hätte es dir viel früher sagen müssen, ich hätte es dir schon vor einer Ewigkeit erzählen müssen, damals, als es anfing, aber ich … Ich konnte es einfach nicht. Ich war so verwirrt, und das war alles so schlimm, und ich dachte, ich könnte es beenden, aber das konnte ich nicht. Ich weiß, dass es falsch ist, aber ich konnte einfach nicht anders.«
Das ist doch nicht fair, oder? Übertreibt er nicht? Ich komme mir vor, als hätte ich das abscheulichste Verbrechen der Welt begangen. Als hätte ich jemanden ermordet, verdammt noch mal. Er sagt nichts, sondern sieht mich nur stirnrunzelnd an – wieder dieser Gesichtsausdruck –, als wäre ich eine Fremde, als hätte er mich nie wirklich gekannt. Ich fühle mich dreckig, ich schäme mich, und es bricht mir das Herz. Ich habe ihn verloren.
»Ich habe versucht, es zu beenden«, schluchze ich jetzt. »Ich habe versucht, das Richtige zu tun, aber gegen meine Gefühle war ich machtlos, Martin.«
Er lacht grausam.
»Weißt du was?«, fragt
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