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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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zurückgekommen. Später, im Lauf des Abends, hat das Mädchen nur noch eine Bemerkung zu dieser Angelegenheit gemacht: «Das war unser erster Streit», so sagte sie.

3
    Am nächsten Tag passierte mir eine kuriose Geschichte. Ich bin früh am Morgen aufgestanden und habe mich wie immer auf den Weg zur Arbeit gemacht. Es versprach ein heißer Tag zu werden, und der Autobus war wie üblich mit Menschen vollgestopft. Wir hatten schon die Häuser der Vorstadt hinter uns gelassen und die kurze, schmucklose Brücke überquert, die auf die Insel Csepel führt: Von da an verläuft die Straße eine Weile über offenes Gelände, Felder, links ein flaches, hangarartiges Gebäude, rechts verstreut die Treibhäuser von Gärtnereien, und dort passierte es, dass der Autobus ganz plötzlich bremste, dann hörte ich von draußen eine kommandierende Stimme hereindringen, Fetzen, die dann vom Schaffner und mehreren Fahrgästen in meine Richtung weitergegeben wurden, nämlich: Falls sich jüdische Fahrgäste im Wagen befänden, sollten sie aussteigen. Na, dachte ich, sie wollen gewiss die Sache mit dem Überschreiten der Stadtgrenze kontrollieren, anhand der Papiere.
    Tatsächlich, auf der Straße fand ich mich einem Polizisten gegenüber. Ohne ein Wort zu sagen, habe ich ihm dann auch gleich meinen Ausweis hingestreckt. Doch er schickte zuerst den Autobus weiter, mit einer knappen Handbewegung. Ich dachte schon, dass er vielleicht den Ausweis nicht richtig verstand, und wollte ihm gerade erklären, dass ich – wie er sehen könne – ein Mitglied der Rüstungsindustrie sei und keine Zeit hätte, mich lange aufhalten zu lassen; aber da war die Straße plötzlich von Stimmen erfüllt und mit den Jungen bevölkert, meinen Kameraden von der Shell. Sie kamen hinter der Böschung hervor. Es stellte sich heraus: Der Polizist hatte sie bereits in den vorherigen Autobussen hier erwischt, und sie lachten sehr darüber, dass nun auch ich eingetroffen war. Sogar der Polizist musste ein wenig lächeln, so als würde er, zwar mit größerem Abstand, aber doch bis zu einem gewissen Grad an der Belustigung teilnehmen; ich habe gleich gesehen, dass er nichts gegen uns hatte – das konnte er ja gar nicht. Ich habe die Jungen dann doch gefragt, was das Ganze soll, aber das wussten sie fürs Erste auch nicht.
    Darauf hat der Polizist auch alle folgenden Autobusse angehalten, die aus der Stadt kamen, und zwar so, dass er in einem bestimmten Abstand vor sie hintrat, während er die Hände in die Höhe warf: Uns schickte er jedes Mal hinter die Böschung. Dann hat sich immer die gleiche Szene wiederholt: die erste Überraschung der neu hinzugekommenen Jungen, die sich schließlich in Lachen auflöste. Der Polizist schien zufrieden. Eine Viertelstunde, ungefähr, ist so vergangen. Es war ein klarer Sommermorgen, an der Böschung – das spürten wir, wenn wir uns hineinlegten – erwärmte die Sonne schon das Gras. Weiter weg, durch den bläulichen Dunst hindurch, waren die dicken Behälter der Raffinerie deutlich zu sehen. Weiter hinten Fabrikschornsteine und noch weiter weg, schon verschwommen, die spitze Silhouette irgendeines Kirchturms. Aus den Autobussen kamen, in Gruppen oder einzeln, immer mehr Jungen zum Vorschein. Zum Beispiel ein lebhafter sommersprossiger Junge mit stachelig geschnittenem schwarzem Haar, der sehr beliebt ist: der «Zierlederer», wie ihn alle nennen – denn im Unterschied zu den anderen, die meist aus verschiedenen Schulen kommen, hat er dieses Handwerk gewählt. Dann der ewig rauchende Bursche: Man sieht ihn praktisch nie ohne Zigarette. Im Allgemeinen rauchen zwar auch die anderen, und um nicht hinter ihnen zurückzubleiben, habe auch ich mich neuerdings darin versucht; aber ich habe festgestellt, dass er dieser Gewohnheit ganz anders, mit einer geradezu schon fieberhaften Gier nachgeht. Auch seine Augen haben diesen merkwürdigen fiebrigen Ausdruck. Er ist eher von wortkarger, irgendwie schwer zugänglicher Natur; im Kreis der Jungen ist er nicht sonderlich beliebt. Aber ich habe ihn doch einmal gefragt, was er an dem vielen Rauchen finde. Worauf er kurz und bündig geantwortet hat: «Billiger als Essen.» Ich war ein bisschen verdutzt, auf den Gedanken wäre ich nicht gekommen. Aber noch mehr hat mich der spöttische, fast schon verurteilende Ausdruck seiner Augen überrascht, als er meine Verlegenheit bemerkte; es war unangenehm, und da habe ich ihn nicht länger ausgefragt. Aber danach verstand ich schon besser, warum

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