Roman eines Schicksallosen (German Edition)
suchte aus zahlreichen klingelnden Schlüsseln den heraus, der ins Schloss passte. Drinnen fanden wir eine angenehm kühle, ziemlich große, wenn auch kahle Räumlichkeit, ausgestattet mit ein paar Bänken und einem langen, uralten Tisch. Der Polizist hat noch eine andere Tür geöffnet, zu einem viel kleineren Raum, einer Art Büro. Durch den Türspalt konnte ich darin einen Teppich, einen Schreibtisch und darauf einen Telefonapparat sehen. Wir hörten auch, wie der Polizist kurz telefonierte, konnten seine Worte allerdings nicht verstehen. Aber ich glaube, er versuchte, den Befehl schneller zu erhalten, denn als er herauskam (die Tür hat er sorgfältig hinter sich abgeschlossen), hat er gesagt: «Nichts. Wir müssen einfach warten.» Er hat uns aufgefordert, es uns bequem zu machen, und er fragte sogar, ob wir nicht irgendein Gesellschaftsspiel wüssten. Ein Junge, der «Zierlederer», wenn ich mich recht erinnere, hat Schinkenklopfen vorgeschlagen. Das war aber nicht so ganz nach dem Geschmack des Polizisten, und er hat gesagt, er hätte von uns, «so vernünftigen Jungen», mehr erwartet. Eine Weile scherzte er mit uns herum, wobei ich dauernd das Gefühl hatte, dass er sich alle Mühe gab, uns irgendwie zu unterhalten, vielleicht, damit uns keine Zeit blieb, die Disziplin zu verlieren, wovon er ja schon auf der Landstraße gesprochen hatte; aber er erwies sich in solchen Dingen als ziemlich ungeschickt. Er hat uns dann auch bald darauf uns selbst überlassen, nachdem er zuvor erwähnt hatte, er müsse nach seiner Arbeit schauen. Als er hinausging, hörten wir, wie er die Tür von außen abschloss.
Über das, was dann folgte, wüsste ich nicht mehr viel zu berichten. Es schien, dass wir noch lange auf den Befehl würden warten müssen. Doch unsererseits fanden wir die Sache überhaupt nicht dringend: Schließlich verschwendeten wir ja nicht unsere eigene Zeit. Darin waren wir uns alle einig: Hier in der Kühle war es angenehmer als draußen bei der Arbeit, im Schweiße unseres Angesichts. Auf dem Raffineriegelände gibt es nicht viel Schatten. «Rosi» hatte beim Polier denn auch durchgesetzt, dass wir das Hemd ausziehen durften. Das ist allerdings nicht gerade im Einklang mit der Vorschrift, da so ja kein gelber Stern an uns sichtbar ist, aber der Polier hat dann doch eingewilligt, aus Menschlichkeit. Bloß Moskovics’ papierartiger weißer Haut ist die Sache einigermaßen schlecht bekommen, weil sie auf seinem Rücken im Nu krebsrot wurde, und wir lachten dann viel über die langen Fetzen, die er sich hinterher abschälte.
Wir haben es uns also bequem gemacht, auf den Bänken oder einfach so, auf dem nackten Boden des Zollhauses: Doch womit wir dann die Zeit verbracht haben, könnte ich nicht mehr recht sagen. Auf jeden Fall sind eine Menge Scherze gemacht worden; Zigaretten machten die Runde, ja und dann allmählich auch die Jausenpakete. Auch der Polier kam zur Sprache, dass er heute Morgen bestimmt erstaunt gewesen ist, als wir nicht zur Arbeit erschienen. Auch die Hufnägel wurden hervorgeholt, für das sogenannte Stier-Spiel. Das hatte ich schon dort, bei den Jungen, gelernt: Man wirft einen der Nägel in die Höhe, und derjenige gewinnt, der am meisten von den übrigen, vor ihm liegenden packen kann, bevor er den anderen, einzelnen wieder aufgefangen hat. Der «Halbseidene» hat mit seinen langen Fingern und schlanken Händen jedes Spiel gewonnen. Und «Rosi» brachte uns ein Lied bei, das wir dann auch mehrere Male gesungen haben. Das Besondere daran ist, dass man den Text in drei Sprachen übersetzen kann, allerdings immer nur mittels der gleichen Wörter: Hängt man die Endung -es an, klingen sie deutsch, mit der Endung -io italienisch und mir der Endung -taki japanisch. Das ist natürlich alles nur so Unsinn, aber ich fand es doch unterhaltend.
Dann habe ich mir ein bisschen die Erwachsenen angeschaut. Auch die hatte der Polizist aus den Autobussen herausgeholt, genau wie uns. So ist mir dann auch klar geworden, dass er, wenn er nicht bei uns war, auf der Landstraße stand und der gleichen Tätigkeit nachging wie am Morgen. Allmählich sind auf diese Art etwa sieben, acht Leute zusammengekommen, alles Männer. Aber wie ich sah, haben sie dem Polizisten schon mehr Mühe gemacht: Sie verstanden die Sache nicht, schüttelten den Kopf, erklärten fortwährend irgendetwas, holten immer wieder ihre Papiere hervor, belästigten ihn mit Fragen. Auch uns fragten sie aus: Wer wir seien, woher wir kämen.
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