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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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drehen und wenden, wie ich wollte; und in dem dritten Raum durfte ich mir dann selbst aus einem Haufen komischer Schuhe, mit Holzsohlen und einem Leinenoberteil mit drei Knöpfen an der Seite statt Schnürsenkeln, die auswählen, die mir in der Eile so ungefähr an die Füße zu passen schienen. Und auch zwei graue Stofflappen nicht zu vergessen, offenbar Taschentücher, wie mir schien, nun ja, und dann zu guter Letzt noch ein unvermeidliches Zubehör: eine zerschlissene, weiche, gestreifte, runde Sträflingsmütze. Ich zögerte ein bisschen – doch ich konnte ja, während von allen Seiten Stimmen zur Eile mahnten, während sich alles um mich herum in fieberhafter Eile anzog, nicht einfach dastehen, wenn ich nicht hinter den anderen zurückbleiben wollte, natürlich. Die Hose musste ich – denn sie war zu weit und ein Gurt oder irgendwelche Träger fehlten – im Laufen verknoten, während sich bei den Schuhen die unerwartete Eigenschaft herausstellte, dass die Sohlen sich nicht bogen. Und zwischendurch habe ich mir, um die Hände frei zu haben, die Mütze auf den Kopf gesetzt. Auch die Jungen waren schon alle fertig: Wir konnten uns nur noch anschauen, ohne zu wissen, ob wir lachen oder eher staunen sollten. Doch für beides war keine Zeit: Schon standen wir draußen, im Freien. Ich weiß nicht, wer die Anordnungen traf, auch nicht, was geschah: Ich erinnere mich nur noch, wie mich irgendwie ein Druck ergriff, mich ein Schwung mitnahm und vorwärts schob und noch etwas stolpern ließ in meinen neuen Schuhen, in einer Staubwolke und unter einem seltsamen Knallen von hinten – als würde vielleicht jemand auf den Rücken geschlagen –, immer weiter, durch immer neue Höfe, zu immer neuen Toren, Hecken und Zäunen aus Draht; ein sich öffnendes und schließendes System, das zuletzt vor meinen Augen zu verschwimmen und verwirrend durcheinanderzugeraten begann.

5
    Es gibt wohl keinen neuen Gefangenen, meine ich, der sich nicht zu Anfang ein wenig über diese Situation wunderte: So haben wir Jungen uns auf dem Hof, auf dem wir nach dem Bad endlich anlangten, zunächst noch lange gegenseitig betrachtet, angestaunt und hin und her gedreht. Dabei wurde ich auf einen anscheinend noch jungen Mann in meiner Nähe aufmerksam, der seine ganze Kleidung lange versunken und doch auch irgendwie zaghaft abtastete, als wollte er sich nur von der Qualität des Stoffes, gewissermaßen von seiner Echtheit überzeugen. Dann sah er auf, als wollte er gerade zu einer Bemerkung ansetzen, doch dann, als er um sich herum auf einmal nur noch solche Bekleidung erblickte, sagte er doch nichts – so war zumindest in dem Augenblick mein möglicherweise natürlich auch falscher Eindruck. Auch so, wie er jetzt war, kahlgeschoren und in einem wegen seines hohen Wuchses etwas zu kurzen Sträflingsanzug, erkannte ich ihn an seinem knochigen Gesicht als den Verliebten, der ungefähr eine Stunde zuvor – denn so viel Zeit mochte von unserer Ankunft bis zu unserer Verwandlung vergangen sein – das schwarzhaarige Mädchen nur unter solchen Schwierigkeiten losgelassen hatte. Etwas bereute ich hier aber sehr. Ich hatte zu Hause einmal aufs Geratewohl ein Buch vom Regal genommen, das, wie ich mich erinnere, etwas versteckt war und wer weiß wie lange schon ungelesen dort verstaubte. Es war von einem Gefangenen geschrieben, und ich hatte es dann nicht zu Ende gelesen, weil ich seinen Gedanken nicht so recht folgen konnte, und dann auch, weil die Personen schrecklich lange Namen hatten, meist sogar drei, die man sich nicht merken konnte, und schließlich, weil es mich überhaupt nicht interessierte, nun ja, und dann auch, weil mich vor dem Leben der Gefangenen ein bisschen schauderte: Auf diese Weise war ich für den Bedarfsfall unvorbereitet geblieben. Ich habe mir von dem Ganzen nur gemerkt, dass der Gefangene, der das Buch geschrieben hat, sich angeblich an die erste, von ihm also weiter weg liegende Zeit der Gefangenschaft besser erinnern konnte als an die späteren, dem Zeitpunkt des Schreibens näher liegenden Tage. Das hielt ich damals für ein wenig zweifelhaft, sozusagen für eine Erfindung. Nun, ich glaube, er hat doch die Wahrheit geschrieben – auch ich erinnere mich nämlich am besten an den ersten Tag, tatsächlich, wenn ich’s bedenke, genauer als an die folgenden. Zuerst fühlte ich mich irgendwie als Gast in der Gefangenschaft – was ja leicht erklärlich ist und im Grunde genommen der trügerischen Gewohnheit von uns allen, ja im

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