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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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sich vor mich auf den Schemel. Er packte mich kurzerhand an dem Organ, das am empfindlichsten ist, und schabte dann mit dem Rasiermesser auch von dort die ganze Krone weg, jedes einzelne Haar, mein gesamtes bisschen männlichen Stolz, das doch vor noch gar nicht so langer Zeit erst gesprossen war. Es mag unverständlich sein, aber dieser Verlust schmerzte mich irgendwie noch mehr als der meines Kopfhaars. Ich war überrascht und auch ein wenig aufgebracht – aber ich habe dann eingesehen, dass es lächerlich gewesen wäre, sich wegen einer solchen Kleinigkeit aufzuhalten, im Grunde genommen. Und dann habe ich auch gesehen, dass es allen anderen, auch den Jungen, ähnlich erging, und der «Halbseidene» bekam es dann auch gleich zu hören: Na, wie wird das jetzt sein mit den Mädchen?
    Doch da hieß es weiter: Nun folgte das Bad. In der Tür drückte ein Sträfling gerade «Rosi» ein kleines braunes Stück Seife in die Hand und bedeutete: für drei Personen. Im Bad fanden wir unter unseren Füßen ein glitschiges Holzgitter vor und über unseren Köpfen ein Netzwerk aus Rohren und daran unzählige Duschen. Die Zahl der nackten und nicht gerade sehr wohlriechenden Menschen darin war schon groß. Ich fand interessant, dass das Wasser von allein und ganz unerwartet zu fließen begann, nachdem alle, auch ich selbst, vergeblich nach einem Hahn gesucht hatten. Das Wasser war nicht eben sehr reichlich, doch empfand ich seine Temperatur als erfrischend kühl, gerade das richtige in dieser Hitze. Zuallererst habe ich nach Herzenslust getrunken und bin dabei wieder dem gleichen Geschmack wie zuvor am Brunnen begegnet: Erst dann ließ ich auch meine Haut ein bisschen das Wasser genießen. Auch ringsumher allerlei fröhliche Laute, ein Planschen, Niesen und Prusten: Es war ein heiterer, sorgloser Augenblick. Wir Jungen hänselten einander die ganze Zeit wegen unserer kahlen Köpfe. Von der Seife hat sich herausgestellt, dass sie leider nicht sehr schäumte, dafür aber viele scharfe, Kratzer verursachende Körnchen enthielt. Trotzdem rieb sich ein dicklicher Mann in meiner Nähe – mit schwarzgekräuseltem Haar auf Brust und Rücken, das man ihm offenbar gelassen hatte – lange damit ein, mit feierlichen, ja irgendwie zeremoniellen Bewegungen. Irgendetwas – abgesehen natürlich von seinem Haar – fehlte an ihm. Da erst habe ich bemerkt, dass er am Kinn und um den Mund herum weißer als sonst und seine Haut dort auch voller frischer roter Schnitte war. Der Rabbiner aus der Ziegelei war es, ich erkannte ihn wieder: Also war auch er mitgekommen. Ohne Bart erschien er mir schon nicht mehr so ungewöhnlich, ein einfacher, etwas großnasiger Mann von eigentlich ganz alltäglichem Äußeren. Er war noch mit vollem Eifer dabei, sich die Beine einzuseifen, als jetzt mit der gleichen Plötzlichkeit, mit der es zu fließen begonnen hatte, das Wasser auf einmal versiegte: Da hat er überrascht aufgeschaut, dann gleich wieder an sich hinunter, aber irgendwie ergeben, wie jemand, der gleichsam das Wirken eines höheren Willens zur Kenntnis nimmt, ihn versteht und sich ihm zugleich beugt.
    Aber auch mir selbst blieb nichts anderes übrig: Schon wurde ich hinausgeschoben, gedrückt, gedrängt. Wir kamen in einen schlecht beleuchteten Raum, wo ein Sträfling allen, auch mir, ein Taschentuch – nein, genauer besehen, ein Handtuch überreichte und bedeutete: nach Gebrauch zurückzugeben. Gleichzeitig strich mir ein anderer mit einer Art flachem Pinsel so eine verdächtig gefärbte, Juckreiz verursachende Flüssigkeit, dem durchdringenden Geruch nach ein Desinfektionsmittel, auf den Kopf, in die Achselhöhlen und auf jene gewisse empfindliche Gegend, dies aber mit einer ganz unerwarteten, außerordentlich flinken und geschickten Bewegung. Dann folgte ein Gang, auf der rechten Seite zwei ausgeleuchtete Öffnungen, und schließlich ein dritter Raum ohne Tür: In jeder der Öffnungen stand ein Sträfling und verteilte Kleidungsstücke. Ich nahm – wie alle anderen auch – ein Hemd in Empfang, das früher bestimmt einmal blau-weiß gestreift gewesen war und am Halsausschnitt wie bei meinem Großvater weder Kragen noch Knöpfe hatte, ebenso Beinlinge, die höchstens für Greise gedacht sein konnten, mit einem Schlitz über den Knöcheln und zwei richtigen Hosenbändern, einen schon abgetragenen Anzug, jedoch genau dem der Gefangenen entsprechend, aus Drillich und mit blau-weißen Streifen – einen regelrechten Sträflingsanzug, ich konnte es

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