Roman eines Schicksallosen (German Edition)
Grunde der menschlichen Natur überhaupt entspricht, wie ich glaube. Der Hof, dieser grell von der Sonne beschienene Platz, wirkte ein wenig kahl, von Fußballplatz, Gemüsegarten, Rasen oder Blumen sah ich hier keine Spur. Alles in allem stand da nur ein schmuckloses, von außen an einen großen Schuppen erinnerndes Holzgebäude: offensichtlich unser Zuhause. Es zu betreten – so erfuhr ich – würde uns erst zur Zeit der Nachtruhe möglich sein. Davor und dahinter eine lange Reihe ähnlicher Schuppen, bis an den Horizont, und auf der linken Seite noch einmal genau die gleiche Reihe, immer mit regelmäßigen Abständen und Zwischenräumen vorn, hinten und an den Seiten. Dahinter die breite, blendende Landstraße – oder eben wieder eine solche Straße, denn auf dem Weg vom Bad hierher waren Straßen, Plätze und die gleichförmigen Gebäude in diesem ungeheuren, überall flachen Gelände nicht mehr im Einzelnen auseinanderzuhalten gewesen, zumindest für meine Augen nicht. Dort, wo sich diese Ausfallstraße mit der zwischen den Schuppen verlaufenden Straße kreuzen musste, hinderte eine spielzeugartige, sehr hübsche rot-weiße Schranke am Weitergehen. Auf der rechten Seite hingegen der schon wohlbekannte stachelige Zaun, der, wie ich zu meiner Überraschung vernahm, mit elektrischem Strom geladen war, und tatsächlich, erst da entdeckte ich an den Betonpfeilern die vielen Porzellanhütchen, solche wie zu Hause an den elektrischen Leitungen oder Telegrafenmasten. Der elektrische Schlag – so wurde versichert – sei tödlich: Im Übrigen genüge es schon, wenn wir den losen Sand des schmalen, am Zaun entlanglaufenden Pfades beträten, um vom Wachtturm aus (sie zeigten darauf, und ich habe darin auch gleich erkannt, was ich von der Station aus für Hochsitze gehalten hatte) ohne jegliche Warnung erschossen zu werden – so warnten uns von allen Seiten eifrig und wichtigtuerisch diejenigen, die sich bereits informiert hatten. Schon bald ist dann die Freiwilligen-Truppe eingetroffen, mit großem Geklapper, unter dem Gewicht der ziegelroten Behälter fast zusammenbrechend. Davor war nämlich das Gerücht aufgekommen und sofort auf dem ganzen Hof aufgegriffen und des Langen und Breiten erörtert und verbreitet worden: «Bald gibt es eine warme Suppe!» Ohne Frage, auch ich fand es an der Zeit, aber diese vielen strahlenden Gesichter, diese Dankbarkeit, diese fast schon irgendwie kindlich wirkende Freude, mit der die Nachricht aufgenommen wurde, haben mich dann doch ein bisschen erstaunt: Deshalb hatte ich wohl das Gefühl, sie galten gar nicht so sehr der Suppe, sondern eher irgendwie der Fürsorge an sich, nach all den vorangegangenen Überraschungen – wenigstens hatte ich dieses Gefühl. Auch war ich ziemlich sicher, dass die Nachricht von dem Mann, dem Gefangenen stammte, der hier gleich als Vorsteher, um nicht zu sagen Hausherr, aufgetreten war. Sein taillierter Anzug, ganz ähnlich dem des Häftlings im Bad, das jetzt schon ungewohnte Haupthaar, darauf eine Kopfbedeckung aus dickem dunkelblauem Filz, die man bei uns zu Hause «Baskenmütze» nannte, die schönen gelben Halbschuhe an seinen Füßen sowie eine rote Binde um seinen Arm machten seine Würde sofort erkennbar, und ich begriff: Ich musste den Spruch, den man mir zu Hause beigebracht hatte und der besagte, «nicht die Kleider machen den Menschen aus», korrigieren. Ebenso trug er ein rotes Dreieck auf der Brust – auch das zeigte allen sofort, dass er nicht wegen seines Blutes, sondern lediglich wegen seiner Denkweise hier war, wie ich bald darauf erfahren habe. Zu uns war er, wenn auch vielleicht ein bisschen gemessen und kurz angebunden, so doch freundlich, und er erklärte auch gern alles Nötige, und daran fand ich damals auch gar nichts Besonderes, schließlich war er ja schon länger da – so dachte ich. Es war ein hochgewachsener, eher magerer Mann mit einem etwas zerknitterten, etwas ausgemergelten, doch insgesamt sympathischen Gesicht. Ich habe auch beobachtet, dass er sich öfter ein wenig abseits hielt, und von weitem sah ich ein-, zweimal seinen irgendwie leicht befremdeten, verständnislosen Blick und in seinen Mundwinkeln so etwas wie ein, sagen wir, kopfschüttelndes Lächeln, als würde er sich ein bisschen über uns wundern, ich weiß nicht, warum. Später hieß es, er komme aus der Slowakei. Einige von den Unseren sprachen seine Sprache und bildeten öfter eine kleine Gesellschaft um ihn.
Er selbst teilte uns die Suppe aus, mit
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