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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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– insgesamt aber immer so, als versuche man sich über eine sehr seltene, sehr fernliegende, einigermaßen schwer erklärbare, vielleicht etwas leichtfertige, vielleicht auch achtunggebietende, auf jeden Fall aber voreilige Handlung ein Urteil zu bilden.
    Die Hauptsache ist, sich nicht gehen zu lassen: Irgendwie wird es schon werden, denn es ist noch nie vorgekommen, dass es nicht irgendwie doch geworden wäre – wie mir Bandi Citrom beibrachte, der diese Weisheit seinerseits im Arbeitsdienst gelernt hatte. Das Allerwichtigste ist unter allen Umständen, sich zu waschen (parallel aufgereihte Tröge mit durchlöcherten Eisenrohren unter freiem Himmel, vorn, auf der zur Straße gehenden Seite des Lagers). Ebenso wichtig ist es, die Ration – daraufhin, ob es noch eine gibt oder nicht – sparsam einzuteilen. Vom Brot – so schwer uns diese strenge Selbstmaßregelung auch fallen mag – muss noch etwas zum Frühstückskaffee des nächsten Tages übrig bleiben, ja, ein Stück sogar – dank unbestechlicher Kontrolle unserer immer wieder in Richtung Jackentasche wandernden Gedanken und vor allem unserer Hände – noch bis zur Mittagspause: So und nur so können wir zum Beispiel die quälende Vorstellung vermeiden, wir hätten nichts zu essen. Dass der zu unserer Garderobe gehörende Fußlappen kein Taschentuch ist, wie ich bis dahin irrtümlich angenommen hatte; dass beim Appell oder in der Kolonne immer nur die Mitte sicher ist; dass wir bei der Suppenausgabe nicht nach vorn, sondern nach hinten streben müssen, weil da schon vom Grund des Kessels und infolgedessen aus der Einlage geschöpft wird; dass wir den Stiel unseres Löffels auf einer Seite zu einem auch als Messer verwendbaren Werkzeug zurechthämmern können: das alles und noch viel mehr, lauter nützliche Dinge auf dem Gebiet des Gefangenendaseins, lernte ich von Bandi Citrom, sah es ihm ab und versuchte, es so weit wie möglich in ähnlicher Weise anzuwenden.
    Ich hätte es nämlich nie geglaubt, und doch ist es eine Tatsache: Nirgends ist eine gewisse Ordnung in der Lebensführung, eine gewisse Mustergültigkeit, ja Tugend offensichtlich so wichtig wie in der Gefangenschaft. Es genügt, sich ein bisschen in der Gegend von Block eins umzuschauen, wo die Alteingesessenen wohnen. An ihrer Brust verrät das gelbe Dreieck alles Wesentliche, ein L darin nebenbei auch noch den Umstand, dass sie aus dem fernen Lettland kommen, um genau zu sein, aus Riga – wie ich erfuhr. Unter ihnen sind jene merkwürdigen Wesen zu sehen, die mich zuerst sogar etwas erschreckt hatten. Aus einer gewissen Entfernung wirken sie alle wie uralte Greise, und mit ihren eingezogenen Köpfen, den hervorstehenden Nasen, den von den hochgezogenen Schultern herunterbaumelnden schmutzigen Sträflingsanzügen erinnern sie auch an den heißesten Sommertagen an ewig fröstelnde Krähen im Winter. Mit jedem einzelnen ihrer steifen, hin und wieder stockenden Schritte scheinen sie zu fragen: Ist diese Anstrengung überhaupt noch der Mühe wert? Diese lebenden Fragezeichen – denn nach ihrer äußeren Erscheinung, ja und in gewisser Weise auch ihrem Umfang nach könnte ich sie nicht anders bezeichnen – sind im Konzentrationslager unter dem Namen «Muselmänner» bekannt, wie ich erfuhr. Bandi Citrom hat mich gleich vor ihnen gewarnt. «Wenn man sie nur anschaut, vergeht einem die Lust am Leben», meinte er, und das hatte etwas für sich, auch wenn ich mit der Zeit zu der Einsicht kam: Dazu braucht es dann doch noch etwas mehr.
    Nun, und dann gibt es vor allem das Mittel des Eigensinns: zwar in verschiedenen Abarten, aber ich kann doch sagen, auch daran mangelte es in Zeitz nicht, und manchmal konnte er von sehr großem Nutzen sein, merkte ich. Zum Beispiel erfuhr ich über jene seltsame Gesellschaft, Körperschaft, Sippschaft oder wie ich sie nennen soll, von der mir ein Exemplar – links in der Reihe – schon bei der Ankunft irgendwie aufgefallen war, dank Bandi Citrom noch weitere Einzelheiten. So hörte ich, dass man sie «Finnen» nennt. Wenn man sie nämlich fragt, woher sie kommen, antworten sie – falls sie einen dessen überhaupt für würdig erachten – zum Beispiel «fin Minkács», womit sie aus Munkács meinen, oder «fin Sadarada», und das heißt – man muss es erraten – aus Sátoraljaújhely. Bandi Citrom kennt ihre Brüderschaft schon vom Arbeitsdienst her und hat keine sonderlich hohe Meinung von ihnen. Überall, bei der Arbeit, beim Marschieren oder im Glied beim

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