Roman eines Schicksallosen (German Edition)
Appell kann man sehen, wie sie, sich im Takt hin- und herwiegend, unablässig ihre Gebete murmeln wie eine nie abzuzahlende Schuld. Wenn sie zwischendurch ihren Mund verziehen, um etwas herüberzuflüstern, zum Beispiel: «Messer zu verkaufen», dann achten wir nicht auf sie. Und noch weniger, so verlockend es auch sein mag, besonders am Morgen, wenn es heißt: «Suppe zu verkaufen», denn, seltsam genug, sie leben nicht von der Suppe, nein, nicht einmal von der gelegentlichen Wurst – von nichts, das den Vorschriften ihrer Religion nicht entspricht. Aber wovon dann, möchte man fragen, und Bandi Citrom würde darauf antworten: Um die brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Und tatsächlich, wie man sieht, leben sie. Unter sich, mit den Letten, benutzen sie die Sprache der Juden, aber sie können auch Deutsch und Slowakisch und wer weiß was alles noch: Nur Ungarisch können sie nicht – außer, es geht ums Geschäft, versteht sich. Einmal – es ließ sich in keiner Weise vermeiden – wollte es das Schicksal, dass ich mich in ihrem Kommando wiederfand. «Reds di jiddisch?», war ihre erste Frage. Als ich sagte: Tut mir leid, nix zu machen, waren sie mit mir fertig, ich hatte verspielt, sie behandelten mich, als ob ich Luft wäre, oder noch eher nichts. Ich versuchte, etwas zu sagen, mich bemerkbar zu machen – umsonst. «Di bist nischt ka jid, d’bist a schegetz», sagten sie, den Kopf schüttelnd, und ich konnte mich nur noch wundern, wie sie – angeblich doch im Geschäftlichen bewanderte Leute – derart unsinnig auf etwas bestanden, das ihnen ja sehr viel mehr zum Schaden gereichte und bei dem sie doch sehr viel mehr draufzahlten, als sie herausholten, alles in allem. Da, an diesem Tag, machte ich die Erfahrung wieder, dass ich bei ihnen zuweilen von dem gleichen Unbehagen, dem gleichen Juckreiz, der gleichen Unbeholfenheit befallen wurde, die ich noch von zu Hause kannte: als wäre etwas nicht ganz in Ordnung mit mir, als befände ich mich nicht mit den allgemeinen Vorstellungen im Einklang, kurzum: irgendwie so, als wäre ich ein Jude, und das war schließlich doch ein wenig merkwürdig, in dieser Situation, unter Juden, in einem Konzentrationslager, wie ich fand.
Bei anderer Gelegenheit wiederum musste ich mich ein bisschen über Bandi Citrom wundern. Ob bei der Arbeit, ob bei der Ruhepause, immer wieder hörte ich, und lernte es auch bald von ihm, sein Lieblingslied, das er aus seiner Zeit beim Arbeitsdienst in der Strafkompanie mitgebracht hatte. «In der Ukra-ine suchen wir Mi-nen/doch Furcht kennen wir ni-i-icht» – so begann es, und vor allem seine letzte Strophe ist mir ans Herz gewachsen: «Und fällt ein Kamerad, ein guter Gefährte/so sagt denen daheim/was immer geschieht/dir, teure Heimaterde/werden wir niemals treulos sein.» Das war schön, ganz unbestreitbar, und die etwas traurige, eher schleppende und keineswegs zackige Melodie und die Worte dieses Liedes verfehlten natürlich auch bei mir ihre Wirkung nicht – nur erinnerten sie mich eben auch an den Gendarmen, damals in der Eisenbahn, der uns auf unser Ungartum hingewiesen hatte: Schließlich waren auch sie von der Heimat bestraft worden, strenggenommen. Das habe ich dann Bandi Citrom gegenüber auch einmal erwähnt. Er fand zwar kein Gegenargument, aber er schien ein bisschen verlegen, um nicht zu sagen verärgert. Am nächsten Tag fing er es dann bei der ersten besten Gelegenheit, ganz selbstvergessen, wieder zu pfeifen, zu summen, zu singen an, als ob er von nichts mehr wüsste. Ein anderer Gedanke, den er nicht selten wiederholte, war, er werde schon «das Pflaster der Nefelejts-Straße noch unter den Füßen spüren» – da wohnte er nämlich, und diese Straße, aber auch die Hausnummer, hat er so häufig und in so vielen Abwandlungen erwähnt, dass ich ihre ganze Anziehungskraft schließlich schon selbst zu fühlen begann, mich beinahe schon selbst dahin zurücksehnte, obgleich ich sie eigentlich als eine eher abgelegene Seitenstraße in Erinnerung hatte, irgendwo in der Gegend des Ostbahnhofs. Er sprach noch oft von dieser Gegend, beschwor bestimmte Ecken für mich herauf, bestimmte, allgemein bekannte Ankündigungen und Reklamezeilen, die an den Häuserfronten und in den verschiedenen Schaufenstern leuchten, mit seinen Worten: «die Lichter von Budapest», wobei ich ihn dann aber doch berichtigen und erklären musste, dass es diese Lichter nicht mehr gab, wegen der Verdunkelungsvorschrift, und dass die Bomben in der Tat das
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