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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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«Korrigiert!» – nämlich die Mützen, versteht sich – und ebenso das «Aus!» , worauf die Hände, so hieß es, «stramm an die Hosennaht zu legen sind». Das haben wir dann mehrere Male geübt. Der Blockälteste hat dabei – so erfuhren wir – noch eine eigene Aufgabe: das Erstatten der Meldung, was er dann auch dort vor uns mehrmals probte, und zwar indem einer vom Stubendienst – ein untersetzter Mann mit rötlichem Haar und leicht violetten, länglichen Wangen – den Soldaten darstellte. «Block fünf» , hörte ich ihn sagen, «zum Appell angetreten. Soll zweihundertfünfzig … Ist …» , und so weiter, und dem entnahm ich, dass auch ich also Bewohner von Block fünf war, der einen Bestand von zweihundertfünfzig Mann aufwies. Nach einigen Wiederholungen war alles klar, verständlich und ohne weiteres auszuführen, wie jeder fand. Darauf folgten wieder Minuten ohne Beschäftigung, und da ich inzwischen auf eine Aufwerfung rechts von unserem Zelt mit einer langen Stange darüber und offenbar einer tiefen Grube dahinter aufmerksam geworden war, fragte ich Bandi Citrom, welchem Zweck das diene. «Die Latrine», erklärte er sofort, nach einem einzigen Blick. Er schüttelte dann ein bisschen den Kopf, als sich herausstellte, dass ich auch diesen Ausdruck nicht kannte. «Man merkt, du hast bis jetzt am Rockzipfel deiner Mutter gehangen», war seine Meinung. Dann hat er es mit einem einfachen kurzen Satz doch noch erklärt. Und er fügte noch etwas hinzu, nämlich, um seine Worte lückenlos wiederzugeben: «Na, ehe wir die vollgeschissen haben, sind wir wieder frei!» Ich lachte, er aber blieb ernst, so als sei er wirklich davon überzeugt, um nicht zu sagen: dazu entschlossen. Doch weiter konnte er diesen Gedanken nicht ausführen, denn vom Tor her näherten sich auf einmal die strengen, eleganten Gestalten von drei Soldaten, die sich ohne alle Eile, aber offensichtlich mit großer Gelassenheit, großer Sicherheit bewegten, woraufhin der Blockälteste, in der Stimme einen irgendwie neuen, eifrigen und gellenden Ton, den ich während der Probe kein einziges Mal bemerkt hatte, losschrie: «Achtung! Mützen … ab!» ,um sich dann die Mütze vom Kopf zu reißen wie alle anderen und wie auch ich, versteht sich.

6
    Erst in Zeitz bin ich dahintergekommen, dass auch die Gefangenschaft ihren Alltag hat, ja, dass echte Gefangenschaft im Grunde aus grauem Alltag besteht. Mir schien, dass ich schon einmal in einer etwa ähnlichen Lage gewesen war, und zwar in der Eisenbahn, unterwegs nach Auschwitz. Auch dort hatte alles von der Zeit abgehangen, nun ja, und dann auch von den Fähigkeiten jedes Einzelnen. Nur dass ich – um bei meinem Beispiel zu bleiben – in Zeitz allmählich das Gefühl hatte: Der Zug steht still. Andererseits – und auch das stimmte – raste er so schnell, dass ich den vielen Veränderungen vor mir, um mich herum, aber auch in mir selbst kaum folgen konnte. Eines kann ich zumindest sagen: Ich meinerseits habe den ganzen Weg zurückgelegt, habe sämtliche Möglichkeiten, die sich auf diesem Weg ergeben, redlich ausprobiert.
    Auf jeden Fall nimmt man etwas Neues überall, selbst in einem Konzentrationslager, zunächst mit gutem Willen in Angriff – ich wenigstens habe es so erlebt: fürs Erste genügte es, ein guter Häftling zu werden, das Weitere mochte dann die Zukunft bringen – das war im Großen und Ganzen meine Auffassung, darauf gründete ich meine Lebensführung, ganz genauso übrigens, wie ich das im Allgemeinen auch bei den anderen sah. Ich habe natürlich bald gemerkt, dass die vorteilhafte Meinung, die noch in Auschwitz über die Einrichtung von Arbeitslagern geäußert worden war, auf einigermaßen übertriebenen Informationen beruhen musste. Über das ganze Ausmaß dieser Übertreibung, nun ja, und dann besonders über alle die daraus entstehenden Folgen habe ich mir allerdings nicht sofort in vollem Umfang Rechenschaft gegeben – und konnte es ja schließlich gar nicht –, und auch das war wieder so, wie ich es bei anderen, ich darf sagen: bei allen anderen wahrnahm, bei allen rund zweitausend Gefangenen unseres Lagers – ausgenommen natürlich die Selbstmörder. Aber ihr Fall war selten und keineswegs die Regel, keineswegs beispielhaft, so wussten hier alle. Auch mir kam hin und wieder so ein Vorfall zu Ohren, ich hörte, wie er diskutiert, erörtert wurde, von den einen mit offener Missbilligung, von den anderen mit mehr Verständnis, von den Bekannten mit Bedauern

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