Roman eines Schicksallosen (German Edition)
schmückte, ja und dann das weithin sichtbare weiße LÄ auf seinem Arm je einzeln betonten. Aber ich war trotzdem ziemlich wütend, denn schließlich war ich es nicht gewohnt, geschlagen zu werden, von wem auch immer, und ich bemühte mich, wenn auch nur im Sitzen und nur durch meine Miene, dieser Wut möglichst deutlich Ausdruck zu geben. Er hat es wohl auch gemerkt, glaube ich, denn mir fiel auf, dass seine großen, dunklen, gleichsam in Öl schwimmenden Augen allmählich einen immer sanfteren, schließlich – obwohl er noch immer brüllte – beinahe schon schuldbewussten Ausdruck annahmen, während er den Blick aufmerksam über mich gleiten ließ, von den Füßen bis zum Gesicht: ein irgendwie unangenehmes, peinliches Gefühl. Dann stürzte er davon, zwischen den Leuten, die ihm Platz machten, hindurch, mit der gleichen stürmischen Geschwindigkeit, mit der er gerade aufgetaucht war.
Als ich mich wieder hochgerappelt hatte, fragte mich mein Nachbar zur Rechten gleich, ob es weh getanhabe. Ich erwiderte absichtlich ganz laut: überhaupt nicht. «Dann», meinte er, «wäre es ganz gut, du würdest dir die Nase abwischen.» Ich fasste hin: Tatsächlich, meine Finger waren rot. Er zeigte mir, wie ich den Kopf in den Nacken legen sollte, um das Blut zu stillen, über den Schwarzgekleideten aber bemerkte er: «Ein Zigeuner»; und, nach kurzem Nachdenken, hat er noch festgestellt: «Ein warmer Bruder, so viel ist sicher.» Ich verstand nicht ganz, was er wohl sagen wollte, und habe ihn dann auch gefragt, was der Ausdruck bedeute. Darauf hat er ein bisschen gelacht und gesagt: «Na, eben ein Schwuler!» Da war ich mir über den Begriff schon eher im Klaren, so ungefähr, glaube ich. «Übrigens», bemerkte er noch und streckte mir sogar die Hand von der Seite hin, «ich heiße Bandi Citrom», worauf auch ich ihm meinen Namen gesagt habe. Er seinerseits ist – wie ich dann von ihm erfahren habe – vom Arbeitsdienst hierhergekommen. Er war gleich einberufen worden, als sie mit dem Krieg anfingen, da er einundzwanzig war, von Alter, Blut und Gesundheit her also damals für den Arbeitsdienst tauglich, und seit vier Jahren nicht mehr daheim gewesen. Er war auch in der Ukraine gewesen, als Minensucher. Ja, und was war mit seinen Zähnen, wollte ich wissen. «Ausgeschlagen», sagte er. Ich war ziemlich erstaunt: «Wieso denn das …?», aber er nannte es nur «eine lange Geschichte» und sagte sonst nicht viel über die Angelegenheit. Auf jeden Fall sei er «mit dem Zugführer aneinandergeraten», und auch das Nasenbein habe er sich bei dieser Gelegenheit gebrochen – so viel konnte ich von ihm erfahren. Auch über das Mineneinsammeln hat er sich nur kurz geäußert: einen Spaten, ein Stück Draht, na und etwas Glück braucht man dazu, nach seinen Worten. Deshalb seien zuletzt auch nur noch ziemlich wenige in der «Strafkompanie» übriggeblieben, und anstelle der ungarischen Mannschaft seien dann Deutsche gekommen. Sie selbst seien erfreut gewesen, denn man hatte ihnen sogleich leichtere Arbeit und eine bessere Behandlung in Aussicht gestellt. Natürlich sind sie dann auch in Auschwitz aus dem Zug gestiegen.
Ich wollte ihn gerade noch weiter ausfragen, doch da sind die drei Leute zurückgekommen. Ich hatte von dem, was sich etwa zehn Minuten zuvor da vorn ereignet hatte, vor allem einen Namen mitbekommen, genauer das einhellige Schmettern mehrerer Stimmen, die alle den gleichen Namen riefen: «Doktor Kovács!», worauf bescheiden, sich zierend, gleichsam nur diesem drängenden Ruf nachgebend, ein dicklicher, weichgesichtiger, auf dem Scheitel von Natur aus und darum herum von der Haarschneidemaschine kahler Mann vortrat und dann seinerseits auf zwei andere zeigte. Darauf waren sie gleich mit dem Schwarzgekleideten weggegangen, und erst hinterher ist die Nachricht auch bis zu mir, in die hinteren Ränge, gedrungen, dass wir eigentlich einen Kommandeur, den «Blockältesten» , wie sie es nannten, und dazu «Stubendienste» gewählt hatten – Begriffe, die ich für Bandi Citrom, der kein Deutsch kann, so schlecht und recht übersetzte. Jetzt wollten sie uns einige Kommandos und die dazugehörigen Bewegungen beibringen, die uns – so waren die drei gewarnt worden und so leiteten sie es an uns weiter – nicht ein zweites Mal beigebracht würden. Einige davon, so etwa die Rufe «Achtung!» , «Mützen … ab!» und «Mützen … auf!» ,kannte ich schon aus meiner bisherigen Erfahrung, neu war hingegen das
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