Roman eines Schicksallosen (German Edition)
dies war – mit einem Wort, dass ihn die Gefangenschaft an sich bedrückte, wie es schien. Ich hätte ihm schon beinahe gesagt, er solle nicht traurig sein, das sei ja noch das Geringste – aber ich fürchtete doch, es wäre vermessen, nun, und dann fiel mir auch noch ein, dass ich gar kein Französisch konnte.
Den Umzug habe ich im Großen und Ganzen verschlafen. Es war auch mir vorher zu Ohren gekommen: Anstelle der Zeitzer Zelte sei ein Winterlager erstellt worden, nämlich Steinbaracken, unter denen man nun auch eine als Krankenhaus geeignete nicht vergessen hatte. Wieder schmissen sie mich auf einen Lastwagen – aus der Dunkelheit konnte ich ersehen, dass es Abend, und aufgrund der Kälte, dass es mitten im Winter war –, und das Nächste, was ich erkannte, war dann schon der gutbeleuchtete, kalte Vorraum zu einem riesengroßen Saal und eine nach Chemikalien riechende Holzwanne: Darin musste auch ich – da nützten keine Klagen, keine Bitten und Proteste – zwecks Reinigung bis zum Scheitel untertauchen, was mich, abgesehen von der Kälte des Wanneninhalts, auch deshalb schaudern ließ, weil, wie ich sah, alle anderen Kranken vor mir auch schon – samt Wunden und allem – in diese braune Brühe getaucht waren. Und danach hat auch hier die Zeit angefangen zu vergehen, auch hier im Wesentlichen so, insgesamt mit nur wenigen Abweichungen, wie an dem Ort vorher. In unserem neuen Krankenhaus waren die Pritschen zum Beispiel dreistöckig. Auch zum Arzt wurde ich seltener gebracht, und so reinigte sich meine Wunde einfach so, an Ort und Stelle, auf ihre Art von selbst. Dazu machte sich bald auch an meiner Hüfte ein Schmerz, dann der schon bekannte brandrote Sack bemerkbar. Nach ein paar Tagen, als ich abgewartet hatte, ob es vergehen oder ob vielleicht sonst etwas dazwischenkommen würde, musste ich wohl oder übel dem Pfleger Mitteilung machen, und nach erneutem Drängen, nach weiteren Tagen des Wartens bin ich dann auch an die Reihe gekommen, bei den Ärzten im Vorraum der Baracke; so hatte ich nun nicht nur am Knie, sondern auch an der Hüfte einen Schnitt ungefähr von der Länge meiner Hand. Ein weiterer unangenehmer Umstand ergab sich aus meinem Platz auf einem der unteren Betten, gerade gegenüber einem hohen, schmalen, auf einen ewig grauen Himmel hinausgehenden, scheibenlosen kleinen Fenster, dessen Eisengitter wahrscheinlich wegen der hier drinnen dampfenden Ausdünstungen fortwährend von Eiszapfen und stacheligem Raureif überzogen war. Ich hingegen trug einzig, was eben einem Kranken zukam: ein kurzes Hemd ohne Knöpfe, na und dann im Hinblick auf den Winter eine seltsame grüne Strickmütze, die sich in Bögen über die Ohren und keilförmig über die Stirn legte und an einen Eisschnellläufer oder einen Darsteller des Satans auf der Bühne erinnerte, sonst aber sehr nützlich war. So fror ich dann viel, vor allem nachdem ich auch noch eine von meinen beiden Decken verloren hatte, mit deren Lumpen ich bis dahin die Mängel der anderen ganz ordentlich hatte ergänzen können: Ich solle sie ihm nur rasch leihen, er würde sie mir dann zurückbringen – so der Pfleger. Ich versuchte umsonst, sie mit beiden Händen festzuhalten, mich an ihr Ende zu klammern, er erwies sich als der Stärkere, und neben dem Verlust schmerzte mich auch der Gedanke einigermaßen, dass Decken – jedenfalls soviel ich wusste – hauptsächlich denen weggenommen wurden, bei denen man mit einem voraussichtlich baldigen Ende rechnete, ja, darauf wartete, wie ich wohl sagen dürfte. Ein andermal warnte mich eine inzwischen wohlbekannte, gleichfalls von einem der unteren Betten, aber irgendwo weiter hinten kommende Stimme: Es war anscheinend wieder ein Pfleger aufgetaucht, wieder mit einem neuen Kranken auf den Armen, und anscheinend eben dabei herauszufinden, zu wem, in welches unserer Betten er ihn legen könnte. Der mit der Stimme aber – so konnten wir erfahren – war aufgrund der Schwere seines Falls und ärztlicher Erlaubnis zu einem eigenen Bett berechtigt, und er schmetterte, donnerte mit so mächtiger Stimme: «Ich protestiere!» und berief sich darauf: «Ich habe das Recht! Fragen Sie den Arzt!», und erneut: «Ich protestiere!», dass die Pfleger ihre Last in der Tat jedes Mal zu einem anderen Bett weitertrugen – so zum Beispiel zu meinem, und auf diese Weise erhielt ich einen ungefähr gleichaltrigen Jungen als Schlafgenossen. Mir schien, als hätte ich sein gelbes Gesicht, seine großen, brennenden Augen
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