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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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er aus dem Schneider gewesen und hätte seinen Beitrag zur gemeinsamen Fledderei geleistet. Aber unter dem Groschenheftchen ist die Platte blank. Schon sind die anderen am Ende ihrer Arbeit angekommen. Die Beute wandert auf den Tisch. Sogar die beiden Taschentücher werden von den Zwillingen mit spitzen Fingern zu einer glattgewetzten Börse, zu Taschenkamm und Taschenspiegel, zu einem stattlichen Klappmesser und neben den zylinderförmigen Pillenbehälter gelegt, den der gebissene Zwilling aus der Kuhle des Hosensacks, aus dem Schritt des Toten gezogen hat.
    Unser großer Bruder weiß wohl, was er den anderen noch schuldet. Er fasst sich ein Herz, nimmt die Prothesen vom Boden hoch und stellt sie neben das bereits Erbeutete, um sie zu untersuchen. Es ist dann so, wie es sein muss. Als er die Socken von den falschen Schienbeinen gezogen hat, wird offenbar, dass rechts und links je eine Mulde in das Holz gegraben ist. Gewiss hat dies der Prothesenträger mit seinem Taschenmesser selbst besorgt. Links findet sich ein simpler Schlüssel mit dreizackigem Bart. Rechts aber ist das Oval eines hübschen, silbern glänzenden Medaillons, die Bildseite nach innen, in den plump geschnitzten Spalt geklemmt. Der Ältere Bruder nimmt es hastig an sich und ist heilfroh, dass es nicht von Sybille, die ein spezielles Mädchenrecht auf Schmuck besitzt, beansprucht wird. Der Schniefer greiftfix nach dem Taschenmesser, der Wolfskopf muss sich mit Kamm und Spiegel, der Ami-Michi mit dem Portemonnaie begnügen. Die Schicke Sybille, die mit der Geldbörse geliebäugelt hat, die jedoch, wenn es ums Auswählen geht, noch nie die Schnellste war, nimmt den Schlüssel aus dem Prothesenholz. Der Zwilling, den der Arm hinter dem Handgelenk so heftig juckt, dass er in einem fort dran kratzen könnte, schnappt sich das Tablettendöschen, gibt es dann aber seinem Bruder weiter, der auch danach hat greifen wollen. Beide haben die Pillen gleich als die Gut-Nacht-Tabletten ihrer Mutter erkannt.
    Habe ich alle gut versorgt? Haben die Freunde alles, was es zum Weiterstapfen, zur weiteren Erforschung des Bärenkellers braucht? Warum hat keiner die schönen, von einem Gummiband gebündelten Postkarten des Toten, die Bilder der nächtlich Badenden, die in der linken Brusttasche steckten, an sich nehmen wollen? War irgendwem die Haut zu weiß? Gern hätte ich meinen Kleinen noch eine prima Taschenlampe ins Angebot geschummelt, aber auch mir steht, so gewieft ich mich auch gebe, nicht jedes Fach der großen Werkzeugkiste dieses Sommers offen. Ich teile aus, ich teile zu, so gut ich eben kann. Und mit ein bisschen Sommerglück wird alles bis zum Ende reichen.
    Die Mutter, unsere gute Mutter, hat sich unterdes entschlossen, die Abwesenheit der Söhne zum Aufräumen zu nutzen. Ihre drei Knaben haben, arglos, wie sie sind, noch nicht begreifen müssen, dass Ordnung nicht die Stärke ihrer Mutter ist. Wenn sie die Zwillinge ermahnt, im kleinen Kinderzimmer nicht alles kreuz und quer zu häufen, tut sie dies mit dem schlechtem Gewissen einer Hausfrau, die selber ihre liebe Not mit der Wäsche in den Schlafzimmerschränkenund dem Haushaltskram in der Küche hat. Frau Böhm hat ihr vor kurzem über die Schulter geguckt, als sie in der linken Schublade des Küchenschranks nach einem Kugelschreiber kramte, und lauthals aufgelacht, so schaurig vollgestopft mit tausendundeinem Ding waren die Fächer der bis zum Anschlag aufgezogenen Lade. Und als Herr Doktor Junghanns neulich netterweise nach ihrem fiebrigen Ältesten schaute, war es der Mutter schrecklich peinlich, dass über allen Stühlen Kleidungsstücke hingen und dass der alte Herr an der Schwelle des Kinderzimmers innehalten musste, weil der Weg hinein von gleich drei Sammlungen der Zwillinge, von deren Gaswerksschlackebrocken, den sorgsam mit Salatöl eingelassenen Kleintierknochen und von den wilden Plastiktieren, von Panther, Löwe, Löwin und dem Tiger, fast lückenlos verstellt war.
    Im Zimmer der Knaben soll es jetzt mit dem Räumen losgehen. Die Mutter stellt die Fenstertür ganz auf und hängt die Sommerdecken über das Geländer. Als sie das zweite Kissen schüttelt, sieht sie, wie sich eine Kante durch den Bezug drückt, und ertastet ein glattes, flexibles Rechteck. Es ist das Kopfkissen des Zwillings, der schon immer oben schläft. Obwohl sich ihre beiden Kleinen bereitwillig alle Kleider teilen und im zurückliegenden Jahr zum Missvergnügen ihres Klassenlehrers erneut die Schulhefte gemeinsam nutzten,

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