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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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die Zeitschrift. Sie liegt so auf der Theke, dass das Titelbild für ihn auf dem Kopf steht. Ein hübsches Mädchen lacht mit offenem Mund. Die Wangengrübchen und die gerümpfte Nase machen wett, dass die Augen hinter den schwarzen Rechtecken einer monumentalen Sonnenbrille verborgen bleiben. Und weil das Mädchen kopfsteht, sind ihr im Licht des Affentanzes die Brüste, der Schwerkraft gehorchend, ein wenig weiter, als es sich gehört, aus den steifen Schalen des lustig grün gepunkteten Bikinis gesunken. In den Händen hält die Badeschönheit gewissermaßen eine zweite Brille, eine Tauchermaske, und zwar so, dass ihr Bauchnabel ein Näslein und der Bund ihres Bikini-Höschens einen lachenden Mund abgeben. Ohne Zweifel hat Fotografenschlauheit dies so arrangiert. Hände und Unterarme sind klitschnass. Sonnenlicht bricht sich in großen Tropfen. Und auch die Taucherbrille, die sich die Nixe gegen den nackten Bauch presst, scheint eben aus dem Wasser eines Pools, eines Sees oder eines Meers gezogen: Schlierig fließt Wasser auf ihren großen flaschengrünen Gläsern auseinander, benetztauch deren Fassung und die Gummibänder, die leuchtend rot lackierte Fingernägel neckisch bis in die Taillenmulden spannen.
    Der Ältere Bruder führt die Freunde weiter. Er geht voran, obwohl das Krückenlaufen auf dem bucklig gewordenen Untergrund nicht einfach ist. Vor allem die rechte Krücke rutscht immer wieder auf den runden Steinen ab, selbst wenn er den Boden im Auge behält und sich bemüht, die Spitze in die Rillen zwischen die urigen, männerfaust- oder babykopfgroßen Pflastersteine zu setzen. «Geht es jetzt einen anderen Weg zurück?», fragt der Ami-Michi, halb hoffend, halb besorgt, denn so gern er bald wieder nach oben käme, sowenig ist er erpicht darauf, noch einmal am inzwischen bestimmt eisig kalt gewordenen und damit restlos bestohlenen Heftchenleser vorbeizumüssen. «Das weiß der Teufel, hier ist alles so bescheuert krumm!», murrt der Ältere Bruder schließlich doch noch als Antwort. Er mag den anderen nicht verraten, dass er, seit sie hier unten sind, die allergrößte Mühe hat, sich vorzustellen, wie die Wiesen und Straßen über ihren Köpfen verlaufen könnten. «Und jetzt ist Schluss!», hört er den Schniefer prompt und unüberhörbar patzig sagen. Denn mitten in der bislang engsten Kurve des Tunnels stehen sie vor einer Tür aus Gitterstäben.
    Der Wolfskopf packt zu, rüttelt kräftig, presst dann die Stirn gegen die enggesetzten Vierkantstäbe und sieht, wo der Riegel des Türschlosses in den Rahmen greift. Mit Schlössern kennt er sich ein wenig aus. Sein Vater hat neulich bereits zum dritten oder vierten Mal der schlimm vergesslichen Frau Fröhlich, der Schusselliese, wie sie die Wolfskopfmutter spöttisch nennt, mit seinem selbstgemachten Dietrich die Wohnungstür geöffnet. Schon wühlt der Wolfskopf mit beidenHänden in den Taschen, weil er erst gestern ein Stück starken Eisendraht gefunden und eingesteckt hat. Da sieht er, dass das Schloss, das er nun liebend gern für sie alle knacken würde, auf ihrer Seite gar kein Loch hat. Der Schniefer hat dies auch bemerkt, will es noch gar nicht glauben und kratzt mit seinem neuen Messer den Rost von der Eisenplatte, die offensichtlich aufgenietet worden ist, um jeden Zugriff auf die Riegelmechanik unmöglich zu machen.
    «Es geht nur von der anderen Seite auf!», bringt es der ungebissene Zwilling auf den Punkt und schaut dabei seinen Bruder an, damit er ihm als Echo zustimmt. Der aber dreht sich schnöde von ihm weg und stupst Sybille an. Er pikst sie richtig mit dem Zeigefinger, so fest, dass jeder sehen kann, wie sich Sybilles Brust unter dem Stoff des Drachenkleids verformt, eindeutig anders, als es die Brust eines Buben könnte. Die anderen erwarten ohne Ausnahme, dass er hierfür unverzüglich eine Ohrfeige bekommt. Aber Sybilles Arm, der hochschnellt, als habe er nur auf die Stimulation des Brustmuskels gewartet, hält dem gebissenen Zwilling und ihnen allen stattdessen den Schlüssel hin. Und jedem leuchtet ein, der Schlüssel des Toten, der Geheimschlüssel des Kurbeltelefonbesitzers, könnte passen.
    Schon hat der Wolfskopf seine Hand über dem Schloss durch die Stäbe gezwängt, mit der Mittelfingerspitze kann er das Schlüsselloch der anderen Seite gerade noch ertasten, aber sein Handgelenk ist zu breit, um weiter hineinzukommen. Alle probieren es nacheinander aus. Die Jungen staunen, dass bereits Sybilles Handteller so breit ist, dass

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