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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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sich die Stimme des Schwesterchens, das die Mutter ihm und den Zwillingen auf die Fersen ihres Bubenlebens heften könnte, bekäme sie ein viertes Kind.
    Schon früher hat sie gelegentlich davon gesprochen, dass sie noch gern ein Mädchen hätte. Aber in den letzten Wochen, seit die Ferien währen, hat sie den Älteren Bruder und die Zwillinge volle fünf Mal gefragt, ob sie sich denn vorstellen könnten, noch eine kleine Schwester zu bekommen. Stets hatten alle drei sogleich beteuert, sie hätten überhaupt nichts dagegen einzuwenden. Viel schlimmer als die kleine Böhm, noch ärger als das Fröhlich-Mädchen könne diese ausgedachte, diese wie beim Erfinden einer Geschichte oder beim Erzählen eines Witzes vorgestellte Schwester gewiss nicht werden. Womöglich hat unsere gute Mutter einmal zu viel gefragt. Denn zuletzt haben die Zwillinge, anstatt eine halbwegs brave Antwort zu präsentieren, einen ihrer besten Witze in die Spur gesetzt. Es war der Witz, in dem der kleine Junge, der, obwohl er schon in die Schule geht, immer nochim Ehebett zwischen seinen Eltern schläft, endlich wissen will, woher die Kinder kommen. Die Mutter hatte mit dem ersten Satz erkannt, um welche Art von Witz es sich handelte, und sich das Weitererzählen nicht nur streng, sondern, allen drei Brüdern fiel es auf, unübersehbar gekränkt verbeten.
    Oben hinter dem Gitter scherzt jetzt der schwarze Mann. Das liebe Mädchen lacht noch ein bisschen süßer, und unser großer Bruder hört hin, so gut er kann. Er strengt sich wirklich mit dem Lauschen an, versucht sein Verstehen mit Gewalt, wie einen Denkspeer, in das Amerikanische hineinzubohren. Vergeblich. Statt dessen Wörter endlich zu verstehen, kann er plötzlich die Suppe riechen. Fast noch im selben Augenblick, gerade als er den Mund aufreißt, um den gelbwürzigen Duft auf doppeltem Wege in den Rachenraum zu ziehen, erfasst er, dass es die Huhlenhäusler-Suppe ist. Das heißt, sie sind unter dem dritten Aufgang des türkisen Blocks angelangt. So ist es also: Da oben sitzen Achims Oma, Achims Mutter, alle seine Schwestern und Kusinen um einen runden Tisch und schnippeln Grünzeug und Gemüse und ziehen die feinen, durchsichtigen Häutchen von den Knoblauchzehen, die unzerschnitten als makellose, knochenfarbene Barken auf der Suppe schaukeln sollen. Da oben hackt die Urgroßmutter der Huhlenhäusler-Sippe einem nackt gerupften Hahn den kammgeschmückten Kopf und die prächtigen Krallen ab und senkt den mageren, in geilem Eifer, also in allen Hahnenehren alt gewordenen Vogel in den brodelnden Sud.
    Der Ältere Bruder sieht alles, bis hin zu einem letzten, am Bürzel vergessenen Federkiel. Und dass die gelben Suppenblasen nun riesengroß vor seinen Augen platzen, hilft ihm auszuhalten, wie schaurig lecker es aus der Oberweltherunterriecht. Bald werden die da oben mit den großen geschnitzten Löffeln, die die Huhlenhäusler früher an den Haustüren verkauften, die fettäugige Suppe aus dem Kessel schöpfen, werden den feinporigen Schaum bepusten und die alles in sich vereinende Köstlichkeit über die Lippen schlürfen. Der Spiegelneger und das liebe Mädchen sind zweifellos deswegen im türkisen Block zu Gast. Bestimmt hat sie der schlimme Achim höchstpersönlich eingeladen. Unseren großen Bruder fröstelt vor Erschöpfung und vor Hunger. Mit der Spitze seiner rechten Krücke stochert er durch das Gitter so weit nach oben, wie es nur geht, als könnte ihm die Huhlenhäusler-Oma aus Barmherzigkeit, aus Mitleid mit einem armen hungrigen Knaben, einen bereits gargekochten Happen, einen schon eher in die Brühe geschmissenen kleineren Vogel, einen Wellensittich, einen Kanarienvogel, eine Drossel oder einen Spatz, auf diese Bettelspitze stecken.
    Da ruft Sybille. Sybille ruft ihn mit seinem Namen. Seinetwegen kommt sie ein Stück zurückgekrochen. Bevor sie kehrtmachte, hat sie ihr Kleid, auf dem die Drachen auch hier unten Feuer spucken, vorn und hinten in den Schlüpfer gestopft, um es nicht, in einem unvorsichtigen Moment, zu beschmutzen. Jetzt hockt sie im Gang und guckt ihm, das Kinn in die Mulde zwischen die dicken, rotgerutschten Knie gesetzt, entgegen. Am linken Schienbein hat sie sich eben beim Umdrehen eine kleine Schramme gerissen, nun drängt das Blut heraus. Der Ältere Bruder kann den großen dunklen Tropfen sehen. Sybille spürt seinen Blick, dann erst das Brennen. Sie macht zwei Finger nass, betastet den Wundrand, wischt über die Stelle und schleckt sich dann das staubige

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