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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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Blut von den Fingerspitzen. Sie muss ihm nicht extra sagen, dass er endlich kommen soll. Es reicht, dass sie ihn eben einmal,ein einziges Mal bloß, mit seinem Namen angerufen hat. Ganz kurz, dann soll er es ruckzuck wieder vergessen dürfen, lasse ich unseren großen Bruder fühlen, dass während der ganzen Sommer, die er mit seinen Freunden durchzogen hat, in diesem Namen stets alles enthalten war, was sie heut Nacht von ihm erwarten werden. Er zieht die Krücke aus dem Schacht. Ihr Eisen klackert durch das Gitter. Oben ist es still geworden. Allein der Suppenduft hält an und hat sogar an Dichte, an weißer Fleischlichkeit, an ausgekochtem Katzen- wie Vogelleben zugenommen.
    Dem Vater ist eben über dem vierten Bier der Gas-Böhm eingefallen. Der Nachbar erscheint ihm plötzlich, weil er es auf eine eigene vertrackte Weise auch nicht leicht mit seinem Weibsbild hat, wie ein Schicksalskamerad, wie einer, den man nicht irgendwo mit kaputtem Knie mutterseelenalleine liegenlässt. Schon ist das Glas geleert, das Geld aufs Thekenholz geworfen. Vom Affentanz ans Josephinium ist es nicht weit. Dem Vater wäre jetzt ein größerer Abstand, ein richtiger Fußmarsch sogar lieber als dieser Katzensprung. Denn als er die Kneipentür aufstößt und das Licht seinen Augäpfeln einen harten Doppelhieb versetzt, spürt er, dass ihm der Alkohol weit stärker als am Abend die Welt verdeutlicht. Unsicher dreht er sich noch einmal um, und plötzlich fällt ihm ein, dass er die Illustrierte mit dem Bandoneon-Mädchen hat liegenlassen. Dies wäre Grund genug zurückzugehen – dann könnte er die Absicht, den versehrten Nachbarn zu besuchen, bis auf weiteres in einem fünften Bier versenken. Doch da drängen die ersten Gäste, drei junge Amerikaner, an ihm vorbei durch die noch offene Tür. Der letzte rempelt ihn so kräftig an, dass es eigentlich kein Versehen sein kann, und prompt juckt unseren Vater die frisch verheilte Rechte. Aberer reißt sich zusammen, will bloß einen Entlastungsächzer und einen Blick gen Himmel schicken und sieht statt Blau und Wolken, statt harmlos weiß betupfter Ferne das Schild über dem Eingang hängen. Er blinzelt. Zum ersten Mal wird ihm das Kneipenschild von der starken Sonne meines Sommers angeschienen. Im Abendlicht und im nächtlichen Dunkel ist ihm nie aufgefallen, dass es so viele sind. Sie tanzen auch gar nicht. Sie gaffen nur aus dem Schild heraus. Die kokosrund gewölbten Schnuten, die breiten Nasen und die kugelig hervorstehenden Augen sind nicht, wie man es erwarten könnte, aufgemalt, sondern ins Holz geschnitzt – so tief, dass der Schädel des mittleren Affen, des älteren Oberaffen, bis an die Ohren aus dem Rechteck tritt. Alle blecken die Zähne, alle wirken nicht wenig aufgeregt. Dem mittleren ragt ein spitzer Stock neben dem rechten Ohr in die Höhe, und ohne Mühe kann sich der Vater vorstellen, wie irgendwo unterhalb des Rahmens eine behaarte Faust den Schaft dieses primitiven Tanzstocks packt. Oder ist es ein Speer? Das Schild ist schrecklich alt. Bis auf das Grün des Rahmens scheint es in Regen, Wind und Licht fast alle Farben eingebüßt zu haben. Nur rechts und links, wo sich zwei kleinere, offensichtlich jüngere Affen als Erster und als Siebter gegen die Rahmenleiste drängen, haben sich mattrote Flecken als allerletzte Spur einer vergangenen, blutig bunten Lustigkeit auf dem grauen Holz erhalten. Der Vater zwingt sich ein heiseres Lachen ab, denn eben konnte er im bloßen, im komisch leeren Gucken, wie es ihm nur betrunken möglich ist, ganz kurz, aber dennoch todsicher erkennen, dass eine dieser Fratzen, nämlich die mit den etwas dickeren Backen und den ein wenig angeschwollenen Tränensäcklein, das Gesicht eines Affenweibchens darzustellen hat.
    Die Kinder aber haben nichts zu lachen. Gerade hat sich der Gang wieder so weit verbreitert, dass der Ältere Bruder und Sybille nebeneinander kriechen können, ohne sich mit den Schultern oder Hüften anzuschubsen, und eben hielt der Ami-Michi vor ihnen inne und streckte den Arm zur Decke, um zu beweisen, dass die Röhre wieder höher wird, da ist es erst einmal vorbei mit jedem Weiterkommen. «Alles schwarz zugemauert!», ruft der Wolfskopf nach hinten. Dann sind auch sie vor der Barriere, und der Schniefer sagt, was sie inzwischen selbst erkennen, dass keine Steine, sondern Briketts, dass ihnen die glänzenden Kopfseiten lückenlos gestapelter Braunkohlebriketts den Weg versperren. Der Wolfskopf geht in die Hocke und wirft

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