Roman unserer Kindheit
Frischverstorbenen, einer jungen Frau, und die Antworten des Teufels einspricht. Mit beiden Stimmen hatte der Ami-Michi gestern gleich eingangs große Mühe. Denn er gehört zu denen, die beim Witzeerzählen schon mit dem ersten Satz an das lustige Ende denken müssen, dauernd kommt ihm deshalb das eigene Lachenmüssen in die Quere, und gestern hat er im kichernden Vorwärtsstümpern sogar ein komplettes Hinundher des Dialogs vergessen und musste das Ausgelassene, als keiner den Witz verstand, noch zur Erklärung hinter die Pointe flicken.
Die Mutter lacht kein bisschen. Unser großer Bruder bewundert sie dafür, denn die Zwillinge haben alles derart perfekt erzählt, dass sogar er, der es eigentlich nicht mag, ein und denselben Witz schon so bald wiederhören zu müssen, ein Losprusten nicht unterdrücken konnte. Jetzt gießt sie heißes Wasser in ihr Kaffeeglas. Der nackte Löffel schwebt noch ein Weilchen über dem dunkelbraunen Rund, rührt dann ganz gründlich um. Erst als sich alles, die kantigen Instantkörnchen samt dem feinen Zucker, spurlos aufgelöst hat, greiftdie Mutter nach der Kondensmilchdose. Zwischen Daumen- und Zeigefingernagel präsentiert sie dabei deren Bild: Die Bärenmutter hält das Bärlein auf dem Schoß. Acht Tatzen tun so, als ob sie keine Krallen hätten. Gleich scheinheilig schweben die beiden Teddys, die pummeligen Glieder abgespreizt, aus der Wölbung der Banderole auf den Betrachter zu. Dann neigt sich der Zylinder zum Glas. Sein blanker Deckel ist zweimal durchlocht, die untere Öffnung hat einen gelben Kraterwulst. In kurzem, strammem Bogen springt die Milch in den Kaffee.
Die Witzigen Zwillinge stampfen mit ihren Löffeln in den Haferflocken und tauschen einen Blick. Sie wissen wohl, dass die Mutter keine Witze hören mag, in denen es um die gewissen Erwachsenensachen geht. Aber im Gegensatz zu ihrem großen Bruder ist es ihnen überhaupt nicht peinlich, wenn sie vor den Eltern oder anderen Großen auf dieses heikle Gelände geraten. Mit hellem Mut, mit einer Art von Pfadfinder-Courage, blicken sie der Mutter nun ins Gesicht, bereit, darüber aufgeklärt zu werden, was denn am eben Gehörten, was daran, wie die Nutte zunächst in die Hölle und dann im zweiten Teil des Witzes in den Himmel kommt und dann, was wirklich lustig ist, doch wieder zum Teufel hinuntermuss, verkehrt sein soll. Seit sie erzählen können, sind sie bombensicher, dass auch gegen den erklärten oder unerklärten Widerwillen eines Erwachsenen auf eine höhere Art in Ordnung sein muss, was über die Schienen einer Handlung geradewegs auf ein Gelächter zurollt.
Dem Älteren Bruder wird unbehaglich, und bannte ihn nicht sein geschientes Bein ins linke Eck der roten Wohnküchencouch, spränge er jetzt auf, um sich ins Kinderzimmer oder noch besser ins Bad zu verdrücken, wo sich,aufs Klo gehockt, mit einem Comic-Heftchen die ganze Familienpeinlichkeit vergessen ließe. Und plötzlich weiß er, was den Zwillingen, die weiterhin die Mutter fixieren und scheinbar genau beobachten, wie sie am Glas nippt und zunächst winzige, dann größer werdende Schlucke des heißen Kaffees zu sich nimmt, im Kopf herumgeht. Die beiden überlegen zweifellos, ob sie ihr Beisammensitzen nun dazu nutzen sollen, ihr auch noch zu zeigen, was sie gestern dem Ami-Michi abgehandelt haben.
Der Ami-Michi hätte es liebend gerne selbst behalten, aber dann hat er es doch gegen drei große, noch völlig kratzerfreie Glasmurmeln aus der Sammlung der Zwillinge weggetauscht, zu drängend war die Furcht, seine Mutter könnte die leidige Sache bei ihm finden. Der Ami-Michi ist ein schlechter Verstecker, so wie er auch ein schlechter Lügner ist. Weil ihm beim Schwindeln stets nur der nächstliegende Unfug einfällt, wird heute noch, bereits in einer knappen Stunde, auffliegen, was er da kurz besessen hat. Seine Mutter wird die neuen Murmeln in seiner Hosentasche entdecken und sogleich aus ihrem Sohn herausholen, wie er sie erworben hat. Damit wird sie sich aber nicht zufriedengeben, sondern sie wird ihn zwingen, den Gegenwert, sein Fundstück, das er doch längst den Zwillingen überlassen hat, so gut er es vermag, stockend und mit hochrotem Kopf, zu beschreiben.
Die Mutter des Ami-Michi ist eine von den Müttern, die sich einbilden, alles, was ihre Sprösslinge treiben, wie von einem Hochsitz überschauen zu können. Dabei weiß sie nicht einmal, dass ihr Sohn bei den anderen Kindern, für seine Freunde wie für seine Feinde, nicht
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