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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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Hans-Michael, nicht Micha oder Michi, sondern Ami-Michi heißt. Wenn sie es erführe, wäre ihr natürlich klar, wer ihm diesen Beinameneingebrockt hat. Hierfür würde sie sich aber allerhöchstens ein Luftholen lang genieren, im Nu wäre die peinliche Neuigkeit in eines der üblichen fremdverursachten Ärgernisse umgedeutet und der Dummheit ihres Sohns oder der Frechheit seiner Kumpane angelastet. Selbstsüchtig, wie sie ist und bleiben wird, würde sie nicht einmal kapieren, dass «Ami-Michi» hier im Hof, zwischen dem kanariengelben ersten und dem erbsengrünen zweiten Block, und hinunter bis zum türkisen, in dem die Huhlenhäusler Suppe dampft, ja bis in den knochenbleichen weißen, in den verfluchten Block hinein, gar kein so übler Spitzname für einen Jungen ist.
    Die Zwillinge haben einmal, als sie unter dem Küchentisch mit ihren gläsernen Murmeln und mit ihren Gummirittern Kegeln spielten, ihre Mama und Frau Böhm darüber reden hören, dass die Mutter des Ami-Michi mannstoll sei. Ihr Ehemann, der glaubt, seinen Hans-Michael gezeugt zu haben, ist Fernfahrer, er macht die elend weiten Touren bis nach Jugoslawien und in die Türkei hinunter, kommt deshalb eine Woche oder länger nicht nach Hause. Seine Gattin nutzt seine Abwesenheit, um die Besuche amerikanischer Soldaten zu empfangen. Die sommersprossig bleichen oder unterschiedlich braunen Kerle, vor kurzem sogar ein völlig schwarzer Mann, kommen immer vormittags. Frau Böhm, deren Küchenfenster genau vis-à-vis liegt, sieht dann, wie sich drüben im gelben Block die Schlafzimmervorhänge übereinanderschieben.
    Seit gestern sind sich die Zwillinge ziemlich sicher, dass das von diesen Vorhängen Verborgene, Farbbild auf Farbbild, in der seltsamen, kleinformatigen Zeitschrift nachzuschlagen ist, die der Ami-Michi am Rosenhang aus einem Packen alter Zeitungen gezogen hat. Auch deshalb, um denAmi-Michi von diesen allzu bunten, allzu detailgetreuen Einsichten in das Treiben seiner Mutter zu entlasten, haben sie ihm das Magazin nach einer ersten gemeinsamen Durchsicht abgehandelt. Jetzt wird es in einem doppelt gut ausgeheckten Spezialversteck, mitten in der vollgestopften Winzigkeit des Kinderzimmers, für künftige Prüfungen verwahrt.
    Die Kinder wissen, wo sie einmal fündig wurden, liegt auch ein zweites Mal etwas für sie herum. Der flache Abhang, der hinter dem Spielplatz nach Oberhausen hinunterführt, heißt zu recht Rosenhang, weil wilde Heckenrosen alles überwuchern. Das Rankengestrüpp ist so hoch und dicht, dass es für die wenigen Spaziergänger der Siedlung, also für diejenigen, die sich einen nervösen Spitz, einen strammen Boxer oder gar einen eleganten Pudel leisten und folglich auszuführen haben, kein akzeptables, Kleidung und Fell schonendes Durchkommen mehr gibt. Die Baufirma, die das Gelände einem der Bauern, die die Wiesen hinunter nach Oberhausen mähen, abgekauft hat, spekuliert darauf, dass die Neue Siedlung eines Tages mit der alten Vorstadt Oberhausen zusammenwachsen wird. Bis dahin kümmert man sich nicht weiter um den erworbenen Grund. Die Pfosten des Zaunes haben irgendwelche Rabauken bis auf den letzten nach innen umgetreten, alle drei Reihen Stacheldraht sind in den Wiesenboden gedrückt, und nichts hindert nächtliche Autofahrer daran, im Rückwärtsgang das Heck ihrer Wagen in das Gelände hineinzuschieben und das Herangekarrte in die Rosenranken zu entsorgen.
    Seit gestern, seit dem Regentag, ist, wie die Kinder gleich gesehen haben, einiges an Kram dazugekommen. Ganz vorn, fast noch am Weg, steht eine dunkelgrüne Couch. Der Wolfskopf lässt sich auf sie fallen und ruft den anderen zu,das Polster sei schon wieder pulvertrocken. Nur die Schicke Sybille setzt sich nicht gleich hin. Sie muss sich erst einmal gründlich vor dem herrenlos gewordenen Polstermöbel ekeln. Im letzten Sommer, als sie auf einem anderen, inzwischen schon dicht von Dornenbögen überwölbten Kanapee am Hopsen waren, kam plötzlich, alle hüpften schon eine Weile fröhlich im selben Takt, eine graufellige Ratte aus dem hölzernen Unterbau des Stücks geschlüpft. Zart fiepsend, Schnäuzlein an Schwänzlein, folgte ihr ein ganzer Wurf junger Tiere, nur ein besonders kleines, vielleicht ein krankes oder nach überstandener Krankheit schwächlich gebliebenes Kindchen schleppte die Mutter quer im Maul den Geschwistern vorneweg.
    Weil der Schniefer Sybille mit ihrem Ekel ringen sieht, erinnert auch er sich an den Auszug der Tiere. Er hatte den kleinen

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