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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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fremdeln. Gleich wird er wieder wissen, wo sie Etappe machen. Und falls er wirklich nicht draufkommen sollte, kann er nachher immer noch Nichtchen fragen. Nichtchen weiß stets, wo sie vor kurzem waren, wo sie gerade weilen und wo die Reise hingehen wird. Wer eine solch neunmalkluge und rundum patente Nichte hat, braucht sich vor nichts und niemandem, braucht sich vor keiner Finsternis, braucht sich nicht einmal vor dem großen Weiß zu fürchten.
    Kommandant Silber entdeckt das Scherenfernrohr. Das nützliche Instrument ist zwar in seiner Kiste aus blechbeschlagenem Holz verborgen, aber wer die Kiste erkennt, weiß auch, was sie enthält. Sie steht am vorhanglosen, halboffenen Fenster, und prompt fällt ihm ein, dass ihm sein Nichtchen eingeschärft hat, auf keinen Fall am helllichten Tag vor eines der Fenster hinzutreten. Geheimer Auftrag! Streng geheime Kommandosache! Er klopft sich mit den Fingerknöcheln an seine Silberplatte, das gongt rundum im Kopf und signalisiert der ganzen Besatzung unter der geflickten Kuppel, dass der Kommandant nach kleiner Auszeit wieder hundertprozentig auf dem Posten ist. Als Erstes rutscht er vom Bett und robbt zum Fenster. Schon greift er nach den Schnappverschlüssen, schon schmeichelt das kühle, glatte, gefechtsgrau lackierte Instrument seinen Händen,schon wissen die Finger von allein, was weiter damit anzustellen ist.
    Alles im Bild. Die Linsen haben null Beschlag. Kein Hauch von Feuchtigkeit in beiden Rohren. Die Welt ist ultrascharf. Allerdings ist, das fällt dem Kommandanten nun wieder ein, die Trockenpatrone bei der letzten Kontrolle schon zartrosa verfärbt gewesen, muss also demnächst ausgewechselt werden. Sehr günstig, dass ein Fensterflügel offen steht! Die Scheiben sehen nämlich aus, als wären sie ewig nicht mehr mit einem Fensterleder in Kontakt gekommen. Was nützt das beste Fernglas, was hilft ein korrekt gepflegtes optisches Instrument, wenn man es vor ein verdrecktes Fenster halten muss. Kommandant Silber sondiert, geduckt unter das Fensterbrett, das Feld: Abhang. Blumensatte, also magere Sommerwiese. Diverse Sträucher. Heckenrosendickicht. Ganz rechts Obstbäume hinter hohem Zaun mit Stacheldraht. Vermutlich Schrebergartenkolonie. Andere Seite: Straße, Allee mit hohen Bäumen. Höchstwahrscheinlich Linden. Fahrbahn leider außerhalb des Sichtbereichs. Erneut nach links geschwenkt. Objekt im hohen Gras. Couch neuerer Bauart. Grünes Nachkriegsmodell. Nicht schick, aber gemütlich, nicht zu hoch, aber auch nicht zu niedrig. Fehlt nur ein kleiner Tisch und eine Blümchendecke, Stühle oder Cocktailsessel, dann könnte eine Familie mit Verwandtschaft oder Freunden da draußen in der Sonne Kaffee trinken. Unscharfes Bild. Verschleierung. Kommandant Silber nimmt die Augenbrauen und die Backenknochen von den Gummimulden. Links schmatzt es, denn der Gummi ist schon feucht geworden. Sacht setzt der Kommandant das Scherenfernrohr ab. Kommandant Silber muss ein wenig weinen.
    Tatsächlich! Es hat sie wieder nicht enttäuscht. Währendsie der frischen Schleppspur folgten, bewunderten die Freunde zudem das Gespür des Älteren Bruders, obwohl es eine rechte Schufterei bedeutete, seine Karre voranzubringen. Zum Glück ging es bergab. Dennoch hätten sie es, wäre nicht bereits eine Gasse in Heckenrosen und Brennnesseln gerissen gewesen, wohl nicht geschafft, so weit zu kommen. Der Wolfskopf meinte, bestimmt seien es die Huhlenhäusler, die das Möbel immer weiter den Hang hinunterschleiften. Bestimmt gebe es irgendwo in der Nähe ein ganz und gar geheimes Lager, und wenn sie das Wandern des Sofas im Auge behielten, würden sie dieses Versteck samt den zusammengestohlenen Schätzen der Sippe finden.
    Die Couch steht jetzt in einer flachen Mulde. Ihre Transporteure haben sie umsichtig in die Senkung eingepasst. Eine hübsche, gerade mal mannshohe Birke reckt ihren stärksten Ast schräg über die Rückenlehne. Sybille findet, dass das Bäumchen wie eine Stehlampe aussieht. Sie will, bevor der Ältere Bruder dies mit besseren Worten tut, schnell selber etwas Lustiges über dieses Möbelbäumchen sagen, kriegt es jedoch nicht richtig über die Lippen, stammelt übereilt herum und ärgert sich sehr, als ihr Versuch, auch einmal etwas Witziges zum Reden ihrer Freunde beizutragen, in dem Geschrei verendet, mit dem die Jungen die Couch erstürmen. Hätte das Birkenstämmchen nicht hinter ihm gestanden, wäre das Sofa umgekippt. So hebt es nur einmal seine Vorderfüßchen und

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