Roman
bereits der erste Patient erwartete. Rita hatte fast alle Termine umlegen können, doch drei Patienten hatten sich partout nicht abwimmeln lassen. Kristina stürzte sich mit Elan in die Arbeit, denn das lenkte sie ab. Wenigstens für die nächsten zwei Stunden.
Kaum war der letzte Patient verschwunden, begleitete Rita sie nach oben in die Wohnung. „Hier, das ist eine Wundercreme von La Mer“, sagte ihre Freundin. „Trag sie gleich mal auf. Die verwandelt sogar Trockenobst in einen saftigen Pfirsich.“
Kristina nahm die Packung und fischte den Beipackzettel heraus. „Wo ist meine Brille?“, fluchte sie. Die Schrift war viel zu klein. Mit der Lesebrille auf der Nase und der Packungsbeilage in der Hand ließ sie sich auf dem Bett nieder.
„Da ist nichts drin, was dir schadet“, versicherte Rita, die währenddessen Kristinas Kleiderschrank nach einem passenden Outfit durchsuchte. Dazu nahm sie jedes Kleid kritisch unter die Lupe.
Plötzlich stieß Kristina einen Schrei aus.
„Was ist los?“, fragte Rita erschrocken.
„Meine Oberschenkel!“, jammerte Kristina. „Warum sind die auf einmal so dick?“
Rita beugte sich über sie und schüttelte verständnislos den Kopf. „Die sind doch nicht dick.“ Sie zog Kristina die Brille von der Nase und fügte hinzu: „Das liegt nur an diesem Vergrößerungsglas.“
Erleichtert atmete Kristina auf. „Hab ich mich erschrocken!“
„Geht mir genauso, wenn ich in deinen Kleiderschrank sehe“, murmelte Rita beiläufig und wühlte sich durch die Sachen, die dort ordentlich aufgereiht hingen. „Das ist der Schrank einer Ehefrau und nicht der eines Singles auf Freiersfüßen. Alles, was da hängt, ist praktisch, brav, langweilig. Null Sex. Mannomann.“
„Du übertreibst mal wieder.“
„Nein. Du solltest deine Garderobe dringend deinem Zustand anpassen. Sonst wird des fei nix mer mitm Valiem“, meinte Rita und hielt ihr das rote Kleid hin, das Sophie ihr bereits empfohlen hatte. „Schlupf ama nei da.“
„Dein Dialekt … Hat der noch keinen Kerl in die Flucht geschlagen?“
„Im Gegenteil“, schnurrte Rita. „Männer törnt das an.“
Kristina zog das Kleid an und betrachtete sich im Spiegel. Ja, es stand ihr sehr gut. „Das habe ich ewig nicht getragen.“
„Ein Jammer. Aber Sophie hat recht“, stellte Rita fest. „Es ist perfekt. Einfach speckdakulärrr!“
Als ihre Freundin sie auch noch dazu überreden wollte, einen Push-up-BH zu tragen, zögerte Kristina. „Sieht das nicht aus wie ein Pamela-Anderson-Abklatsch?“
„Nix da“, widersprach Rita. „Der Zweitpopo vorne ist voll im Trend. Und jetzt zieh dich wieder um. Du musst zur Kosmetik und danach zum Friseur.“
Kristina ließ alles klaglos über sich ergehen, obwohl die Verschönerungsarbeiten Stunden dauerten. Sie ließ sich sogar die Wimpern färben, ein paar Highlights ins Haar machen und die Beine wachsen. Doch als Rita ihr auch noch ein spezielles Waxing nahelegte, winkte Kristina ab und meinte: „Der Busch bleibt, wie er ist.“
„Top, die Wolle quillt“, zog Rita sie auf. „Das trägt man heute nicht mehr, meine Liebe.“
„Woher weißt du denn, was ich trage? Außerdem spring ich nicht mit ihm ins Bett. So eine bin ich nun wirklich nicht.“
„Dein Pech. Du bist unbelehrbar“, gab Rita spitz zurück. „Du wirst schon sehen, was du davon hast.“
Am Abend erreichte Kristina mit dem Taxi das Haus, in dem Tom und auch ihr Sohn wohnten, und sie sah nach oben. In Philipps Wohnung brannte kein Licht, alle Fenster waren dunkel. Kristina atmete auf. Wie hätte ihr Sohn wohl reagiert, wenn er seiner Mutter zufällig im Treppenhaus begegnet wäre, die gerade auf dem Weg zu Tom war? Dieses Zusammentreffen blieb ihr zum Glück erspart.
Sie hatte weiche Knie, als sie vor Toms Wohnungstür stand und die Klingel drückte. Drinnen hörte sie Schritte, die näher kamen, und sie holte tief Luft. „Ich bin ruhig und entspannt“, murmelte sie leise vor sich hin und setzte ein strahlendes Lächeln auf.
Die Tür wurde geöffnet, Tom lächelte sie an. „Schön, dass du da bist“, begrüßte er sie und küsste sie auf beide Wangen. Er trug ausgewaschene Hüftjeans und ein enganliegendes Hemd. Seine nackten Füße steckten in Wildledermokassins. Außerdem hatte er ein großes Küchenhandtuch wie eine Schürze umgebunden. Er sah einfach umwerfend aus. Tom trat zur Seite, und Kristina schlüpfte an ihm vorbei.
„Du siehst umwerfend aus“, sagte er und sprach damit aus, was sie
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