Roman
Kristina bei sich.
Nach einer ausgiebigen Dusche bereitete sie sich in der Küche ein üppiges Frühstück zu. Sie deckte für drei. Als alles angerichtet war, fing sie jedoch alleine an zu frühstücken. Sie stellte das Radio an und schlug die Zeitung auf.
Was für ein wunderbarer Morgen, schoss es ihr durch den Kopf. Genüsslich biss sie in ihre Butterbrez’n. Und wieder kam ihr der Gedanke, wie schön es wäre, wenn sie endlich alleine leben könnte. Ohne Kind und Kegel, ohne gelegentliche Hotelgäste und ohne die bucklige Verwandtschaft, wie Sophie sich ausdrückte.
„Du Egoistin“, schimpfte sie sich im gleichen Moment und fügte hinzu: „Rabenmutter.“
Nachdem sie zu Ende gefrühstückt und die Zeitung gelesen hatte, sah sie auf die Uhr. Es war fast halb zehn, und von ihren beiden Mitbewohnern war immer noch nichts zu hören. Eine leise Sorge beschlich sie. Ob ihrem Vater vielleicht etwas zugestoßen war? Vielleicht lag er im Bett und konnte sich nicht rühren? Sofort verließ sie die Küche und stieg die Treppe hinauf unters Dach. Sie klopfte an die Wohnungstür.
„Papa? Bist du wach?“ Sie wartete, doch bekam keine Antwort. Bevor sie öffnete, klopfte sie erneut an und sagte: „Ich komme jetzt rein.“
Die Wohnung war verwaist, das Bett unbenutzt. Es musste etwas passiert sein. Schließlich war es noch nie vorgekommen, dass ihr Vater die Nacht nicht zu Hause verbracht hatte – es sei denn, er war weggefahren. In dem Fall hatte er Kristina aber stets darüber informiert. Rasch verließ sie nun die väterliche Wohnung und lief schnell hinunter zu Sophies Zimmer.
„Sophie? Bist du wach?“ Sie wartete, doch bekam keine Antwort. Bevor sie öffnete, klopfte sie erneut an und sagte: „Ich komme jetzt rein.“ Auch das Zimmer ihrer Tochter war leer und das Bett unbenutzt.
Langsam ließ Kristina sich auf das Bett sinken. Na prima. Wo steckten die beiden bloß, und warum hatte ihr niemand etwas gesagt? Und vor allem: Was sollte sie jetzt tun?
Sie ging hinüber in ihr eigenes Zimmer und wählte zuerst Sophies Handynummer. Der Anrufbeantworter schaltete sich ein. „Sophie, Mama hier. Wo steckst du? Ich mache mir Sorgen. Melde dich“, sprach sie auf das Band.
Anschließend rief sie ihren Vater auf dessen Handy an. Er meldete sich sofort. „Papa“, sagte Kristina mit vorwurfsvollem Ton. „Wo bist du? Du warst heute Nacht ja gar nicht zu Hause.“
„Nein … äh … mir geht es bestens … Ich erkläre dir alles später, wenn ich zurück bin“, antwortete er geheimnisvoll.
„Aber wo hast du denn übernachtet?“ Kristina wollte eine Erklärung.
„Das erfährst du früh genug. Mach dir keine Sorgen. Bis später.“ Und damit beendete er das Telefonat, bevor Kristina reagieren konnte.
Empört knallte sie den Hörer auf die Gabel, als das Telefon auch schon wieder klingelte. Wütend nahm sie das Gespräch an und fauchte: „Wieso legst du einfach auf?“
„Mama, was ist denn los?“ Es war Sophie.
„Ach, ich dachte, du wärst jemand anders. Wo steckst du?“, erkundigte Kristina sich und unterdrückte dabei ihren Ärger.
„Bei Sven.“
„Verstehe. Also ist alles wieder in Ordnung?“
„Weiß ich noch nicht.“
„Na dann viel Vergnügen.“ Diesmal war es Kristina, die abrupt auflegte. Ihr könnt mich alle mal gernhaben, dachte sie. Ab jetzt ist Schluss mit lustig.
Den Vormittag verbrachte sie damit, Besorgungen zu machen und einzukaufen. Bettwäsche und Bügelsachen mussten in die Wäscherei, der Kühlschrank brauchte dringend Nachschub, danach fuhr sie beim Schuhmacher vorbei und holte endlich die Schuhe ab, die sie vor Wochen zum Richten gebracht hatte. Als sie gegen Mittag nach Hause zurückkehrte und aus dem Auto stieg, kam Klaus ihr entgegen.
„Ach, ich wollte gerade wieder gehen“, sagte er fröhlich. „Aber wenn du willst, kann ich dir noch beim Ausladen helfen.“
„Übernimm dich nur nicht.“ Ohne ihn weiter zu beachten, begann sie, die Tüten aus dem Kofferraum ins Haus zu tragen.
Ihr Vater nahm die anderen Tüten aus dem Wagen und folgte ihr. „Warum bist du so sauer?“, fragte er sie, als sie alles in die Küche gebracht hatten.
„Weil hier jeder macht, was er will, und ich die Dumme bin.“
„Manchmal geschehen Dinge im Leben – auch in so weit fortgeschrittenen Leben wie meinem –, die nicht vorhersehbar sind“, erklärte er ruhig.
„Geht das auch etwas verständlicher?“, bohrte Kristina ungeduldig nach.
„Ich habe da jemanden kennengelernt
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