Roman
galt ihr erster Handgriff der Kühlbrille, dann folgten Augencreme und Augentropfen.
Zum Glück kannte Rita sämtliche Tricks auf diesem Gebiet und empfahl ihr eine Spezialcreme. „Eigentlich hilft die gegen Hämorrhoiden, aber es gibt nichts Besseres gegen geschwollene Lider.“
Natürlich entging Rita nicht, dass es hinter Kristinas gleichmütiger Fassade brodelte. Eines Tages brachte sie ihr ein langes schmales Kissen mit. „Das ist das Neueste gegen Herzschmerz und Einsamkeit“, sagte Rita. „Das klemmst du dir zwischen die Beine als eine Art Mannersatz.“
Kristina tippte sich an die Schläfe. „Spinnst du? Ein Kissen als Ersatzmann?“
Nachts lag Kristina jedoch in ihrem Bett und hielt tatsächlich das Kissen, das sie Jopi getauft hatte, mit Armen und Beinen fest umklammert. Wann hörte dieser schreckliche Zustand endlich auf? Wann würde sie Tom und das, was er ihr angetan hatte, vergessen?
„Du musst ausgehen und dich mit anderen Männern ablenken“, meinte Rita. „Ein anderer Kerl muss her! Das hilft sofort! Ich weiß, wovon ich spreche.“ Sie redete so lange auf Kristina ein, bis diese endlich zermürbt ihren Widerstand aufgab.
Am Freitagabend war es dann so weit. Nach einer längeren Tour durch verschiedene Münchner Lokale landeten Rita und Kristina in einer Bar in der Maximilianstraße. Sie setzten sich an den Tresen. Während Rita sich umschaute, um die Lage zu sondieren, zog Kristina ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter.
„Wenn du hier wieder auf Shrek machst, können wir auch gleich heimgehen“, schimpfte Rita. „Damit vergraulst du ja jeden.“
Kristina ließ die Kritik unbeeindruckt an sich abperlen. Jedem Mann, der es wagte, in ihre Nähe zu kommen, schenkte sie derart böse Blicke, dass dieser schleunigst die Flucht ergriff. In ihrer Verzweiflung griff Rita zu härteren Methoden und bestellte Kristina einen Drink namens Long Island Iced Tea. Was so harmlos klang, enthielt eine äußerst gefährliche Mischung aus Wodka, Rum, Gin und Tequila. Der Cocktail zeigte schnell Wirkung. Mit jedem Schluck entspannte Kristina sich mehr und bestellte sich trotz Ritas Protest gleich noch einen zweiten.
„Ihre Freundin verträgt das hoffentlich“, sagte der Barkeeper zu Rita und beobachtete Kristina skeptisch.
„Lecker, das Zeuch“, bemerkte Kristina mit leichtem Zungenschlag und wandte sich dem jungen Mann rechts von ihr zu, der gerade an die Bar gekommen war.
„Ist der frei?“, fragte er höflich und deutete auf den leeren Barhocker neben ihr.
„Hab ich für Sie frei gehalten“, antwortete sie und strahlte ihn an.
Rita und der Barkeeper wechselten vielsagende Blicke, doch Kristina beachtete die beiden nicht mehr. Sie hatte nur noch Augen für ihren Nachbarn und flirtete ihn hemmungslos an. Überraschenderweise ergriff der junge Mann, der sich als Ben vorstellte, nicht die Flucht. Wie Kristina erfuhr, hatte Ben gerade sein Medizinstudium beendet und war nun Arzt im Praktikum. Danach wollte er sich auf die Gynäkologie spezialisieren.
Kristina war entzückt. „Ein Mann, der die Frauen liebt.“
Ben quittierte dies mit heftigem Kopfnicken, was Kristina ermutigte, tiefer in das Minenfeld vorzudringen. Zuvor machte sie Rita und Ben miteinander bekannt. „Rita, das ist Ben. Ben, das ist meine beste Freundin Rita.“
Rita schenkte ihm nur ein kühles Lächeln, während Ben ihr freundlich zunickte. Sie stieß Kristina den Ellbogen in die Seite und flüsterte ihr ins Ohr: „Was willste denn mit dem? Das ist eine fleischgewordene Ausgabe von diesem Barbie-Mann Ken.“
„Du bist ja bloß neidisch“, gab Kristina zurück und wandte sich wieder Ben zu: „Ich befinde mich im Moment in einer ziemlich komplizierten Phase, müssen Sie wissen, Ken. Wenn man in der Mitte des Lebens angekommen ist, geht es offensichtlich nur noch bergab.“
„Aber, aber“, widersprach Ben charmant. „Mit 30 fängt das Leben doch erst an.“
Kristina warf den Kopf in den Nacken und lachte laut auf. „Mehr, mehr, mehr!“
Er zwinkerte ihr zu. „Sie haben alles, was Männer sich wünschen – die meisten jedenfalls.“
Kristina beugte sich zu ihm hinüber. „Ach, wissen Sie, Ken, im Leben einer jeden Frau gibt es einen Punkt, an dem sie mitleidslos und unerschrocken Bilanz ziehen muss. Das mag schwerfallen, aber es nützt nichts. Man muss den Tatsachen eben ins Auge sehen. Wenn hier die Haut wie ein Segel herunterhängt“, erklärte sie, hob den Arm und zwickte sich in die Unterseite des
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