Romana Exklusiv 0188
möchte wieder aktiv sein, statt nur darüber zu schreiben, was ich getan habe. Man hat mir angeboten, am College in Poole Vorlesungen in Naturwissenschaften zu halten. Außerdem würde ich einen Kurs für junge Leute leiten, in dem ich meine Kenntnisse über Survival-Training vermitteln kann. Vor allem aber möchte ich etwas für die Indianer im Amazonasgebiet tun … einen Hilfsfonds gründen und die Öffentlichkeit auf sie aufmerksam machen.“
Frankie lachte unsicher.
„Du meine Güte, du wirst kaum eine freie Minute haben!“ Sie zweifelte nicht daran, dass er alle drei Tätigkeiten professionell und kompetent ausüben würde.
Nun ist es also vorbei – fast jedenfalls –, ging es ihr durch den Kopf, als sie später im Bett lag und das Rauschen der Blätter draußen hörte. Sie würde sein Buch bis zur Veröffentlichung betreuen, und dann würde Julian aus ihrem Leben verschwinden. Die Erinnerung an ihn würde sie jedoch auf Schritt und Tritt begleiten. Sie, Frankie, würde ihn weiter lieben – nicht weil sie es wollte, sondern weil sie nicht anders konnte.
Am nächsten Morgen wachte Frankie um sechs auf, weil sie furchtbaren Durst hatte – wahrscheinlich von Julians starkem Gin Tonic. Sie schlüpfte in ihren Morgenmantel und ging auf Zehenspitzen hinunter in die Küche, wo sie ein Glas aus dem Schrank nahm. Gerade als sie es mit Wasser füllte, wurde sie von einem Geräusch erschreckt.
Sie wandte sich um und sah Jeremy in der Tür stehen, der nicht minder erschrocken wirkte.
„Oh, hallo“, sagte sie. „Ich hatte Durst und bin heruntergekommen, um etwas zu trinken. Warum bist du so früh auf?“
Er trug eine Radlerhose und ein T-Shirt und hatte einen kleinen Rucksack bei sich. Offenbar hatte er die zierliche Statur und den dunklen Teint von seiner Mutter geerbt. Als sie sich ihn als weibliche Ausgabe vorstellte, eine schlanke Frau mit rotbraunem Haar mit geheimnisvollen grünen Augen, zuckte sie unwillkürlich zusammen. Vielleicht war es deshalb so schwer für Julian: Wenn er diesen Jungen anschaute, sah er in ihm die Frau, die er liebte.
„Ich verbringe den Tag draußen“, erklärte er.
„Oh“, meinte sie unsicher. „Dann hast du wohl Proviant in dem Rucksack?“
„Ein bisschen. Aber das meiste sind Bücher.“ Auf ihren verwunderten Gesichtsausdruck fügte er hinzu: „Ich … ich fahre mit dem Fahrrad los, suche mir ein sehr ruhiges Plätzchen und … äh lese dort.“
„Was für eine tolle Idee!“ Sein zaghaftes Lächeln bewies ihr, dass er nicht unhöflich war, sondern nur schüchtern und verletzt. „Manchmal setze ich mich in der Mittagspause in den Park und lese. Liest du viel?“
„Ja, sehr viel. Eigentlich immer. Wussten Sie nicht, dass ich das schwarze Schaf in der Familie bin? Mum interessiert sich für Mode und schöne Dinge, Karin mag nur Pferde, und mein Vater … na ja …“
Plötzlich erinnerte sie sich an jenen sonnigen Nachmittag im Languedoc, an dem sie zu ihrer Überraschung herausgefunden hatte, dass der harte, unnahbare Julian Wordsworth las …
„Weißt du, dein Vater liest auch viel“, erzählte sie leise. „Wusstest du beispielsweise, dass er Lyrik mag?“
Jeremy kniff ungläubig die Augen zusammen.
„Nein!“, sagte er skeptisch. „Das Einzige, was ihn interessiert, sind gefährliche Expeditionen. Das Dumme ist nur, dass er es jetzt nicht mehr tun kann, weil er sein Bein verletzt hat. Deswegen möchte er, dass ich diesen ganzen Survival-Kram lerne, damit ich in seine Fußstapfen treten kann.“
„Ich glaube, du irrst dich“, wandte sie ein. „Dein Vater ist der Meinung, dass Survival-Training für jeden von Nutzen sein könnte. Was er jedoch tut … getan hat … das war etwas Individuelles. Es ist nicht wie ein Familienunternehmen, das man erben kann.“
„Ich weiß. Aber Mum hat mir gesagt, dass er es will. Und ich will auf keinen Fall Forscher werden. Ich möchte vielleicht … Bibliothekar werden. Oder so etwas wie Sie.“
„Du möchtest also mit Büchern zu tun haben. Aber … Jeremy, könnte es sein, dass du deinen Vater falsch verstanden hast?“
Sofort zog er sich wieder in sein Schneckenhaus zurück.
„Ich schätze, dass meine Mutter meinen Vater besser kennt als Sie“, sagte er kühl.
Frankie zuckte die Schultern. Dieser Junge ähnelte seinem Vater mehr, als ihm bewusst war.
„Das tut sie sicher. Hat sie dir auch beigebracht, wie wichtig gute Manieren sind?“
Jeremy errötete verlegen.
„Tut mir leid“, sagte er
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