ROMANA EXKLUSIV Band 0179
hergeben, wenn er die Hühner jagen dürfte.“
„Er weiß, dass er das nicht darf. Lebensmittel jeder Art sind hier kostbar.“
Roberts Ton ließ Gerry aufhorchen, und sie warf ihm einen forschenden Blick zu.
„Haben Sie Durst?“, fragte Robert unvermittelt.
Ihr wurde bewusst, dass ihr Mund sich trocken anfühlte. „Sehr sogar.“
„Warum haben Sie nichts gesagt?“
„Das hätte wenig genützt, denn ich sehe hier keinen Verkaufsstand oder so etwas.“
„In diesem Klima ist es gefährlich, zu wenig Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Außerdem gibt es um uns her genug zu trinken.“ Fröhlich setzte Robert hinzu: „Falls Sie Kokosmilch mögen.“
„Sehr sogar. Aber ich kann Ihnen schlecht zumuten, dort raufzuklettern.“ Sie blickte zu den Spitzen der schlanken Kokospalmen hinauf.
„Das ist nicht gefährlich.“
Ein dunkeläugiger Junge kam unter den Palmen herangeschlendert. Wie die meisten hier, war er mit einem Buschmesser bewaffnet. Nachdem Robert kurz mit ihm gesprochen hatte, kletterte der Junge flink eine Palme hinauf. Gerry verfolgte das Klettermanöver besorgt.
„Das kann er aus dem Effeff“, beruhigte Robert sie amüsiert. „Alle Jungen hier klettern auf Kokospalmen. Das lernen sie wie andere Fußball spielen.“
„Mag sein. Aber beim Fußball spielt man auf dem Boden und nicht dreißig Meter in schwindelnder Höhe.“ Gerry atmete auf, als der Junge in der Krone eine grüne Nuss abgeschnitten hatte und sich an den Abstieg machte.
Unten angekommen, lächelte er scheu. Als Gerry ihm dankte, kappte er die Nuss mit einem Messerschlag und reichte sie ihr grinsend. Dann verschwand er in Richtung Strand.
„Mm, köstlich“, stellte Gerry fest, nachdem sie die Hälfte der klaren Flüssigkeit getrunken hatte. „Möchten Sie auch mal probieren?“
Sie hatte nicht erwartet, dass Robert es tat, doch er trank den Rest aus. Es mutete Gerry seltsam an, dass Robert die Stelle mit dem Mund berührte, die auch ihre Lippen berührt hatten.
„Jetzt sollten wir lieber umkehren“, entschied Robert. „Wir sind ein ziemliches Stück gelaufen, und es wird zu heiß.“
Auf dem Rückweg fragte Gerry beiläufig: „Wann haben Sie Maori sprechen gelernt?“
„Ich bin damit aufgewachsen“, verriet Robert.
Da er keine Anstalten machte, mehr von sich preiszugeben, fuhr Gerry fort: „Sie sprechen es fließend.“
„Das sollte ich auch. Ich habe hier gelebt, bis ich zehn war.“
Gerry brannte darauf, mehr über Robert zu erfahren, doch sie hielt sich zurück.
„Mein Vater war ein Gammler“, fuhr Robert fort. „Er ist mit meiner Mutter aus Neuseeland durchgebrannt und schließlich hier auf Longopai gelandet. Sie haben von dem gelebt, was die Inselbewohner ihnen gaben, bis meine Mutter nach der Geburt meiner Schwester starb. Damals war ich fünf. Einige Monate später zog mein Vater weiter und ließ uns hier bei einer Familie zurück. Er ist nie zurückgekommen.“
Gerry war entsetzt. „Das ist unfasslich!“
„Ja.“ Roberts Augen waren so klar wie grünes Glas, und er schien Gerry gar nicht richtig wahrzunehmen. „Sie wissen, wie das ist.“
„Wenigstens hatte ich einen Vater, der mich geliebt hat“, erwiderte sie heftig. „Aber Sie waren ganz allein.“
„Ich hatte meine Schwester. Wir waren trotzdem nicht unglücklich. Wahrscheinlich verlief unser Leben idyllischer als bei den meisten Kindern. Unsere Pflegefamilie hat sich unser liebevoll angenommen. Wir gingen zur Schule und haben mit den anderen Kindern gespielt und gelernt, bis ich zehn war. Da hatten die Eltern meiner Mutter in Neuseeland erfahren, dass es uns gab, und ließen uns zu sich holen.“
„Es muss Ihnen sehr schwergefallen sein, sich auf das neue Leben umzustellen.“
Robert antwortete nicht sofort. „Wir waren als Kinder nicht einfach, aber unsere Großeltern haben alles darangesetzt, um uns zu zivilisieren.“
„Das ist ihnen gelungen.“
Robert lachte auf eine Weise, die Gerry erschauern ließ. „Äußerlich schon. Aber es war nicht einfach, die wilden ersten zehn Jahre meines Lebens abzustreifen.“
Das klang wie eine Warnung. Doch warum sollte Robert sie warnen – und wovor?
„Ist es Ihnen schwergefallen, sich an das Leben in Neuseeland zu gewöhnen?“, fragte Gerry vorsichtig.
„Ich habe es gehasst“, gestand Robert.
„Das muss schrecklich gewesen sein.“
„Sie haben mich in ein Internat gesteckt, damit man mir Manieren beibringen sollte. Glücklicherweise war ich intelligent und konnte gut
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