ROMANA EXKLUSIV BAND 231
Sprünge zu helfen?
Joelle drehte sich auf den Rücken und stöhnte wieder. Noch niemals hatte sie derartige Schmerzen gehabt. Plötzlich fiel ihr auf, dass sie nackt war, und in ihrem Kopf schien es Alarm zu läuten. Sie schlief niemals nackt – und sie trank sonst auch nie zu viel! Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.
Kopfweh hin oder her, es wurde Zeit, dem Tag die Stirn zu bieten. Joelle rieb sich die Augen und öffnete sie schließlich widerstrebend. Starr schaute sie eine Weile zur Zimmerdecke hinauf, dann ließ sie den Blick rasch durch den Raum gleiten. Erwartete sie denn, etwas Ungewöhnliches zu sehen? Das wusste sie selbst nicht.
In dem Moment, als sie eine Männerhose über der einen Sessellehne entdeckte, wurde die Tür zum angrenzenden Bad geöffnet, und Gabriel Lafleur kam ins Zimmer. Sein dunkelbraunes Haar war feucht und zerzaust, und er war nackt, abgesehen von einem Handtuch, das er sich um die Hüften geschlungen hatte. Joelle war plötzlich zumute wie nach einem Schlag in den Magen.
Gabriel kam näher, und ihre Blicke trafen sich. Er blieb so abrupt stehen, als wäre vor ihm ein Fallgitter niedergegangen. Nach kurzem Zögern sagte er: „Guten Morgen. Du bist also endlich aufgewacht!“
Sprachlos vor Schock und keines klaren Gedankens fähig, sah Joelle ihn nur starr an, während ihr Magen sich verkrampfte. Brennende Hitze durchflutete sie, und ihr wurde so übel, dass sie befürchtete, sofort ins Bad laufen zu müssen. Nur noch verschwommen nahm sie ihre Umgebung wahr.
„Hallo, du fällst doch jetzt nicht in Ohnmacht, oder?“, hörte sie Gabriels tiefe Stimme.
Joelle atmete mehrmals tief durch, und nun sah sie das Zimmer wieder klar umrissen.
Gabriel war inzwischen zum Fußende des Bettes gekommen und schaute kritisch auf sie herunter. Den Blick kannte sie gut. Genau so sah ihr Vater sie an, wenn er ihr zu verstehen geben wollte, dass sie ihn wieder einmal enttäuscht hatte. Und das war, laut ihrem Vater, ständig der Fall – schon seit ihrer Geburt einunddreißig Jahre zuvor. Er hatte sich einen Sohn gewünscht, der einmal in seine Fußstapfen treten würde, keine Tochter, die es zwar versuchte, dabei aber jedes Mal zu straucheln schien.
Joelle wandte kurz den Blick ab. Sie fühlte sich verwundbar und gedemütigt, weil Gabriel Lafleur – ein Mann, den sie nur flüchtig kannte –, auf sie heruntersah und nun wahrscheinlich ihren Charakter beurteilte, oder vielmehr dessen Mängel. Mit welchem Recht eigentlich? Gabriel wusste nur sehr wenig über sie, abgesehen davon, dass sie dumm genug gewesen war, ihn für anständig zu halten. So anständig, dass sie ohne Bedenken mit ihm essen gegangen war. Ein schwerwiegender Fehler!
Falls Gabriel jetzt dachte, dass sie sich vor seinen Augen in Tränen auflösen würde, dann würde er enttäuscht werden! Ihrem Vater gönnte sie ja auch nicht mehr die Genugtuung, sie weinen zu sehen. Nein, kein Mann sollte sie für ein schwaches Wesen ohne Mumm in den Knochen halten! Sie setzte eine ausdruckslose Miene auf, das reinste Pokergesicht, und funkelte Gabriel an. Es war, hoffentlich, eine oscarreife schauspielerische Leistung.
Allerdings half ihr die nicht sonderlich, die Situation zu ertragen, ja, es fiel ihr von Minute zu Minute schwerer. Dennoch sah Joelle Gabriel weiterhin unverwandt an. Seine Brust war muskulös und sonnengebräunt, die dunklen Haare darauf waren noch feucht vom Duschen. Dann folgte ihr Blick unwillkürlich einem Wassertropfen, der Gabriel über die Haut glitt, bis er schließlich von dem Handtuch aufgesogen wurde, das um die schmale Taille gewickelt war.
Joelles Kehle war plötzlich wie ausgedörrt, und sie schluckte trocken. Rasch hob sie den Blick und merkte, dass Gabriel ahnte, was in ihr vorging. Da sie das nicht ertrug, schloss sie die Augen und hoffte inbrünstig, dass er verschwunden sein würde, wenn sie sie wieder öffnete.
Ja, mein Vater hat recht: Ich bin zu nachgiebig und feminin, um mich in der von Männern beherrschten Welt durchzusetzen, dachte Joelle selbstkritisch. Wenn sie Charakterstärke besitzen würde, wäre sie jetzt nicht in dieser demütigenden Lage.
Plötzlich spürte sie Gabriels Hand auf ihrem Arm und zuckte zusammen. Sie hätte ja wissen können, dass ihr der Wunsch nach Alleinsein nicht erfüllt werden würde.
„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte Gabriel.
Joelle öffnete die Augen wieder. Einen Moment lang sahen sie und Gabriel sich an wie zwei Fassadenkletterer, die
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