Romana Extra Band 1
arbeitete, seit Luís seine Charterfirma für Segeljachten, Alquiler Santiago, vor fünf Jahren gegründet hatte. „ Disculpa – entschuldige die Störung, aber ich dachte, du solltest es lieber gleich erfahren. Eben rief Señor Batista an, um seine Reservierung für die Nereida zu stornieren. Er und seine Frau wollten die Jacht für drei Wochen buchen, aber …“
Manolo verstummte, doch Luís konnte sich denken, was vorgefallen war. Die Batistas mussten von der Havarie einer seiner Jachten vor der Küste Mallorcas erfahren haben. Kein Wunder – die Sache war durch sämtliche Medien gegangen. Dass weder Luís noch seine Angestellten die Verantwortung dafür trugen, sondern der Mieter der Jacht, der selbst ein Kapitänspatent besaß und unbedingt ohne professionellen Skipper hatte segeln wollen, spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle. Durch die schlechte Presse waren in letzter Zeit mehr Kunden abgesprungen, als sein Unternehmen auf Dauer verkraften konnte. Zum Glück verfügte Luís über Rücklagen. Doch ehe sie aufgebraucht waren, musste die Flaute zu Ende gehen, sonst …
Manolo, der genau wusste, was in Luís vorging, räusperte sich. „Die Reparatur der Yolanda ist so gut wie abgeschlossen. In ein paar Tagen sollte sie wieder einsatzbereit sein. Willst du sie dir ansehen?“
Luís lag die Erwiderung auf der Zunge, dass es, wenn sich die Dinge nicht rasch zum Positiven entwickelten, kaum mehr Gelegenheit geben würde, die Yolanda einzusetzen. Doch er schluckte die Bemerkung herunter. Es herrschte unter den Arbeitern auch so schon genügend Unsicherheit. Er ließ den leidigen Papierkram auf seinem Schreibtisch Papierkram sein und folgte Manolo nach draußen.
Sein Arbeitszimmer lag im Erdgeschoss seines Wohnhauses, von dem aus er einen direkten Zugang zum Anleger und zu den Wirtschaftsgebäuden hatte. Da er ungehindert zwischen Arbeit und Freizeit hin- und herpendeln konnte, verließ er das Grundstück seiner Charterfirma manchmal wochenlang nicht – außer wenn ihn die Sehnsucht überkam, Cala de Laura zu sehen.
Die sanfte Brise, die vom Meer her wehte, und der leichte Geruch nach Salz und Tang weckten wie immer seine Lebensgeister. Nicht selten träumte er davon, selbst wieder einmal hinauszufahren, den Wind in den Haaren und die aufspritzende Gischt auf seiner Haut zu spüren. Doch für solcherlei Dinge hatte er keine Zeit. Nicht mehr, seit er gezwungen war, mit seiner Firma nicht nur seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Angestellten zu erwirtschaften, sondern auch für ein kleines Mädchen zahlen musste, das er bisher erst ein einziges Mal zu Gesicht bekommen hatte: bei der Gerichtsverhandlung, bei der er als leiblicher Vater der kleinen Maricruz bestätigt worden war.
Luís atmete tief durch und folgte Manolo über den Steg.
Roberto, einer der Arbeiter, die für die Wartung der acht Segeljachten zuständig waren, mit denen Luís sein Charterunternehmen betrieb, sprach Manolo an und verwickelte ihn in eine Unterhaltung. Luís ging weiter bis zum letzten Liegeplatz, an dem die Yolanda vertäut war.
Manolo hatte recht – sie sah wieder so gut wie neu aus. Den Riss im Rumpf, der bei der Kollision mit einem Felsen entstanden war, hatte er im Trockendock der Werft seines Bruders Javier reparieren lassen. Alles andere war das Werk von Manolo und seinem Team. Nichts deutete mehr darauf hin, dass bei einem Segeltörn mit der Yolanda vor etwas weniger als zwei Monaten fast ein Mensch ums Leben gekommen war.
Beinahe zärtlich strich Luís über die Außenhülle der Jacht. In seinen Augen hatte jedes der Boote so etwas wie eine eigene Persönlichkeit – und die Yolanda war eine Königin. An dem Unglück trug sie ebenso wenig die Schuld wie er selbst, Manolo oder irgendein anderer seiner Angestellten. Señor Dominguez hätte niemals darauf bestehen dürfen, die Jacht ohne einen professionellen Skipper an Bord zu chartern. Hätte der Mann seine eigenen Fähigkeiten nicht gnadenlos überschätzt, wäre es nicht zu dem verhängnisvollen Unfall gekommen. Es …
Ein merkwürdiger, lang gezogener Laut riss Luís aus seinen Gedanken. Der Schrei einer Möwe? Er runzelte die Stirn. Nein, es hatte eher geklungen wie … eine menschliche Stimme. Er lauschte aufmerksam, wartete. Dann hörte er den Schrei erneut, dieses Mal deutlicher. Kein Zweifel, es war ein Mensch, der da rief.
Und zwar um Hilfe!
Mit der Hand beschattete Luís die Augen gegen die grelle Sonne und suchte die Bucht ab.
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