Romana Extra Band 1
Lippen. Um es richtig zu erklären, würde sie viel von ihrer eigenen Geschichte offenbaren müssen.
„Kurz nach meinem zehnten Geburtstag war ich wegen einer ernsten Krankheit mehrere Monate lang im Krankenhaus.“
„Das tut mir leid“, sagte Mark, nachdem sie einen Augenblick geschwiegen hatten. Er lehnte sich gegen ein Regal, sodass er Lexi ansehen konnte. „Es muss schlimm für dich und deine Eltern gewesen sein.“
„Ja, ziemlich. Meine Eltern machten sowieso schon eine schwierige Zeit durch.“ Lexi lächelte ihn kurz an. „Und mein Vater arbeitete damals in Amerika. Er war zwei Monate lang nicht zu Hause, und als er dann zurückkam, hatte er seine neue Freundin im Gepäck.“
„Oh, nein.“
„Oh, doch. Das erste Jahr meiner Rekonvaleszenz habe ich im Haus meiner Großmutter in einem Vorort von London verbracht. Zusammen mit einer sehr unglücklichen Mutter. Es war nicht gerade die schönste Zeit, aber es gab zwei Lichtblicke. Zum einen war meine Großmutter eine tolle Geschichtenerzählerin, und zum anderen hat sie dafür gesorgt, dass ich immer Bücher hatte. In der Bibliothek habe ich mir Bücher ausgeliehen, die davon handelten, wie andere Leute eine schreckliche Kindheit überstanden haben, ohne das Lachen zu verlernen.“
„Biografien. Du hast gern über das Leben anderer Menschen gelesen.“
„Ich konnte nicht genug davon bekommen.“
„Und dann hast du irgendwann beschlossen, selbst zu schreiben? Eine mutige Entscheidung.“
„Vielleicht. Da ich mir ein Studium nicht leisten konnte, habe ich nach der Schule bei einem großen Verlagshaus in London angefangen. Zwei Jahre später war ich Lektoratsassistentin, und der Rest ist Geschichte, wie es so schön heißt.“
Sie verbeugte sich schwungvoll mit ausholender Armbewegung. „Ghostwriterin Lexi Sloane.“ Kokett sah sie ihn an. „Möchtest du sonst noch etwas wissen, bevor wir uns ans Werk machen?“
„Ja, noch eine Sache. Warum trägst du auf einer kleinen Insel am frühen Vormittag schon so viel Make-up?“
„Ich nehme es als Kompliment, dass du es überhaupt bemerkt hast.“ Lexi lachte. „Ich bin hier, um einen Job zu erledigen, und es gehört zu meiner Arbeitsuniform. Ob Büro, Filmstudio oder kleine Insel, spielt keine Rolle. Sobald ich sie anhabe, bin ich auf Arbeit programmiert. Also lass uns beginnen.“
Sie zog mehrere Bücher aus einem Regal und legte sie auf den Tisch. „Es gibt so viele Arten von Biografien. Ernste und unterhaltsame, kritische und oberflächliche und, und, und. Jede ist auf ihre Weise einzigartig und sollte zu der Persönlichkeit passen, von der sie handelt. Welche von diesen hier gefällt dir am besten?“
„Ich hatte keine Ahnung, dass es so schwierig sein würde.“ Mark blickte auf die Bücher. „Oder so komplex.“
Lexi nahm ein Buch mit dem Foto eines Theaterstars auf dem Einband und reichte es Mark. „Eine Biografie kann auch schrecklich trocken sein. Hier hat der Schreiber sich sehr darum bemüht, dem Mimen Respekt zu zollen, indem er so ausführlich wie möglich war. Aufzählungen von Rollen, Daten und Orten eignen sich prima für den Anhang. Sie verraten dir jedoch nichts über den Menschen selbst.“
„Weißt du, dass ich diesen Mann tatsächlich kenne. Er war mehrmals auf den Neujahrsfesten meiner Mutter.“ Mark legte das Buch zurück. „Für jemanden, der fünfzig Jahre auf der Bühne stand, war er sehr schüchtern.“
„Und genau davon sollte ein Biograf erzählen. Er sollte darüber schreiben, wie dieser schüchterne Mann, der vor jedem Auftritt mit Lampenfieber kämpfte und trotzdem hinausging und sein Publikum begeisterte, ein preisgekrönter Darsteller wurde. So wird man dem Andenken der betreffenden Persönlichkeit gerecht“, erklärte Lexi enthusiastisch. „Und natürlich auch, indem man sehr persönliche Erinnerungen wiedergibt, die vielleicht nur mit dem Privatmenschen zu tun haben. Die dem Leser jedoch vermitteln, wie diese Person wirklich war und wie bedeutsam es für ihr Umfeld gewesen ist, sie gekannt zu haben.“
Mark runzelte die Stirn. „Heißt das, es muss alles offenbart werden?“
„Nein, selbstverständlich nicht. Aber eine Biografie sollte keine Auflistung trockener Daten und Fakten sein. Zwischen der beschriebenen Person und dem Leser muss eine Nähe entstehen. Nur so wird man ihr gerecht.“ Lexi zuckte die Schultern. „Du solltest begeistert sein, dass du mit diesem Buch die Gelegenheit hast, deine Mutter wieder lebendig werden zu
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