Romana Extra Band 3
Taxifahrer kurz darauf vor einem eindrucksvollen Gebäude im Herzen von Palma vorfuhr. Sie hielt den Atem an. Irgendwo dort oben in dem riesigen Bürokomplex, über dessen Eingang der Name Santiago prangte, hielten sich also ihr Vater und ihre Brüder auf. Sie spürte, wie sie vor Aufregung feuchte Hände bekam, und fragte sich, ob sie nicht vielleicht doch einen Fehler machte, wenn sie ihre Familie unangekündigt überfiel.
Fernando hatte behauptet, dass die Santiagos Zeit brauchten, um sich an die Vorstellung zu gewöhnen, dass Laura zurück war. Würden sie sie also überhaupt empfangen? Und wenn ja, wie mochte ihre Reaktion auf den unangemeldeten Besuch aussehen?
In Lauras Wunschvorstellung würden sie ihr vor lauter Wiedersehensfreude um den Hals fallen und Fernando dafür verfluchen, dass er ihre Verwandte so lange von ihnen ferngehalten hatte. Aber was, wenn dies wirklich nur ein schöner Traum war? Wenn Fernando die Wahrheit gesagt hatte und ihre Eltern sie noch gar nicht sehen wollten?
Nun, das Risiko wirst du wohl oder übel eingehen müssen!
Entschlossen löste sie den Sicherheitsgurt, bezahlte den Fahrer und stieg aus dem Wagen. Sie würde jetzt nicht nachdenken, sondern einfach handeln. Solange sie sich zurückerinnern konnte, hatte sie jede noch so kleine Entscheidung in ihrem Leben stets sorgsam durchdacht und das Für und Wider gegeneinander abgewogen. Doch vielleicht wurde es langsam Zeit, dass sie einmal über ihren eigenen Schatten sprang und alles auf eine Karte setzte.
Durch eine breite Eingangstür aus verspiegeltem Glas betrat sie das Gebäude. Auf den Luxus, der sie im Innern erwartete, hätte sie eigentlich vorbereitet sein sollen, doch das Foyer des Familienunternehmens Santiago übertraf all ihre Vorstellungen.
Die Halle war bis unter die Decke mit kostbarem Marmor ausgekleidet. Im vorderen Bereich standen mehrere Sitzgruppen aus cremefarbenem Leder, am anderen Ende des Raumes befand sich ein repräsentativer Empfangstresen, hinter dem eine elegant gekleidete junge Frau ihr freundlich entgegenlächelte.
„Buenos días“ , begrüßte sie Laura. „Kann ich etwas für Sie tun?“
Laura zögerte. Sie hatte sich keine Gedanken darüber gemacht, wie es weitergehen sollte, nachdem sie in das Gebäude gelangt war. Wenn sie einfach nur darum bat, zu den Santiagos vorgelassen zu werden, würde man sie vermutlich wegschicken. Sagte sie die Wahrheit – dass sie die lange verschollene Tochter von Miguel und Gabriela Santiago war –, bestand die Gefahr, dass die Rezeptionistin den Firmenanwalt informierte. Und Fernando hatte mit Sicherheit vorgesorgt für den Fall, dass Laura herkommen würde, und den Empfangsmitarbeitern irgendeine an den Haaren herbeigezogene Geschichte erzählt, warum man sie nicht zu ihrem Vater vorlassen sollte.
„Ich …“ Sie straffte die Schultern. „Ich bin die neue Assistentin von Señor Fernando Estevez“, log sie, und versuchte dabei so selbstsicher wie nur irgend möglich auszusehen. „Mein Patrón hat mich gebeten, einige Unterlagen, die er für Señora Velásquez benötigt, bei Señor Santiago senior abzuholen.“
Sie rechnete fest damit, dass irgendetwas schiefgehen würde. Dass die junge Frau sich eine Bestätigung einholen oder Rücksprache mit Fernando oder Miguel Santiago halten würde. Doch nichts dergleichen geschah.
Stattdessen drehte sie sich halb zur Seite, winkte einen jungen Mann heran und wandte sich wieder zu Laura. „Bitte folgen Sie meinem Kollegen. Er wird Sie zu Señor Santiagos Vorzimmer führen.“
„Du solltest dem Vergleich zustimmen, Miguel.“
Fernando lehnte sich in seinem Sessel zurück und schlug ein Bein über das andere. „Das Angebot ist nicht besonders attraktiv, zugegeben, aber wenn Consuela Sanchez Konkurs anmeldet, wirst du noch viel weniger bekommen.“
Miguel Santiago hatte ihn heute früh zu sich bestellt, um einige juristische Fragen mit ihm zu klären. Gern war Fernando der Bitte von Marias Schwager nicht nachgekommen, bedeutete es doch, dass er Laura allein zu Hause zurücklassen musste. Aber andererseits hatte er einen Job und konnte für seinen ungebetenen Gast nicht den Vollzeit-Babysitter spielen.
Trotzdem fühlte Fernando sich angespannt und nervös, als er Miguel in dessen riesigem Büro im obersten Geschoss des Firmengebäudes gegenübersaß. Die Aussicht von hier oben war überwältigend. Fernando erinnerte sich noch gut daran, was er gedacht hatte, als er als Teenager zum ersten Mal in diesen
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