Romana Extra Band 4 (German Edition)
ihres Kostüms. Die letzten Tage hatte sie fast ausschließlich in der möblierten Wohnung verbracht, die ihr von der Agentur vermittelt worden war. Sie hatte ihre Sachen in die Schränke geräumt, Essen gekocht und ihr neues Leben eingerichtet, so gut es ging. Aber obwohl sie jetzt in Barcelona war und sich Gedanken darüber machen sollte, wie sie ihren neuen Job am besten angehen sollte, dachte sie nur an Javier. Er ging ihr nicht mehr aus dem Sinn. War es ein Fehler gewesen, keine Namen zu nennen und keine Telefonnummern auszutauschen? Oder hatten sie beide die innige Offenheit nur deswegen zeigen können, weil sie wussten, dass sie sich nie wiedersehen würden? Sie hatten sich nichts versprochen und sie waren ehrlich zueinander gewesen.
Fast hätte sie sich mit einem völlig Fremden auf eine leidenschaftliche Nacht einlassen, aus lauter Verzweiflung, über David hinwegkommen zu wollen. Ach was. Wütend drängte sie diesen Gedanken beiseite. So stimmte das doch gar nicht. Genaugenommen fühlte sie schon lange nicht mehr genug für David. Sie war gekränkt durch seinen Betrug, aber der große Herzschmerz hatte sich nicht eingestellt. Eher kalte Wut darüber, dass sie diesem Lügner viel zu lange vertraut hatte. Mit Javier hatte Faye jemanden gefunden, der ihr bestätigte, dass sie immer noch eine begehrenswerte Frau war. Der Abend mit ihm war perfekt gewesen, um sich gebührend von England und ihrem alten Leben zu verabschieden.
Wieso nur war sie dann so traurig? Weil das nicht die ganze Wahrheit war. Da war diese magische Verbindung, gegen die sie sich nicht wehren konnte. Noch nie zuvor hatte sie diese heftige Anziehung zwischen zwei Menschen gespürt. Sie wussten beide, dass ihre Begegnung etwas Einmaliges war, aber in der kleinen Hotelbar spürten sie, dass sie füreinander geschaffen waren. Ihre Gefühle schwangen im Gleichklang, ihre Körper reagierten leidenschaftlich auf ihre Berührungen, und wenn sie sich ansahen, dann war es, als würden sie sich seit ewigen Zeiten kennen. War das die berühmte Liebe auf den ersten Blick? Doch jetzt war es ohnehin zu spät.
Ganz allein hatte sie am Silvesterabend am Fenster gestanden und die Leute unten auf der Straße beobachtet. Bereits die Weihnachtsfeiertage hatte sie allein in einem Londoner Hotelzimmer verbracht und war sich dumm und unnütz vorgekommen. Selbst ein längeres Telefonat mit ihrer in Chicago lebenden Schwester und ihren zwei süßen Nichten hatte ihre Stimmung nicht erhellen können. Doch das war gar kein Vergleich zu dem verzweifelten Gefühl am Silvesterabend. Während sie sich das erste Glas Cava einschenkte, feierten Menschen auf der ganzen Welt den Beginn des neuen Jahres. Überall versammelten sich Freunde und Familie, feierten, lachten und tanzten, aber ihr liefen die Tränen über die Wangen.
Ohne Javier fühlte Faye sich einsamer als in den Tagen, nachdem sie David verlassen hatte. Sie wusste nicht, was schlimmer war: dass sie Javier begegnet war oder dass sie ihn direkt wieder verloren hatte. Zum neuen Jahr läuten in Barcelona die Glocken traditionell zwölfmal und bei jedem Glockenschlag soll man eine Traube essen. Das bedeutet Glück für das kommende Jahr. Faye fragte sich, in welcher Stadt Javier wohl das neue Jahr feierte. Mit jeder Traube wünschte sie sich nur eins: ihn wiederzusehen.
Am Neujahrsmorgen trieb es sie hinaus an die frische Luft. Sie spazierte in Mantel und Schal zur Innenstadt. Der Himmel über Barcelona war wolkenlos und die Sonne schickte ein wärmendes Licht über die Dächer der Stadt. Vorbei an der Kathedrale und dem Picasso-Museum, bummelte sie auf der Rambla , der Flaniermeile Barcelonas, in Richtung Hafen und sog die Atmosphäre der Stadt in sich auf. Die Sonne lockte die Menschen ins Freie und Faye genoss es, dass die Uhren hier langsamer gingen als im hektischen London. Die Leute waren entspannter, lächelten sich zu und riefen sogar Fremden gute Wünsche für das neue Jahr zu.
Nachdem Faye sich an den Straßenkünstlern und Blumenständen sattgesehen hatte, setzte sie sich in ein kleines Café und trank einen Café cortado . Doch statt ebenso entspannt zu sein wie die Familien und die verliebten Pärchen, die draußen vorbeiflanierten, ertappte sie sich dabei, wie sie bei jedem großen schwarzhaarigen Mann, der in ihre Nähe kam, fast aufsprang. Ein Dutzend Mal glaubte sie, Javier entdeckt zu haben. Genervt zahlte sie und verließ beinahe fluchtartig die lebhafte Innenstadt. Sie musste ihn vergessen.
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