Romana Extra Band 5 (German Edition)
dieses Problem hat auch eine andere Seite. Ich glaube, Kinder mit Lernschwäche werden völlig unterschätzt. Sie sehen die Welt anders – und das kann durchaus ein Vorteil sein. Ich bin sicher, ich muss Ihnen nicht sagen, dass Einstein auch eine Lernschwäche hatte.“
Das hatte Michel nicht gewusst. „Einstein?“
„Oh ja. Seine Grundschullehrer sagten seiner Mutter, dass aus ihm wohl niemals etwas werden könnte. Einen anderen Blick auf die Welt zu haben, muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein, im Gegenteil. Ich betrachte es als Herausforderung, Max zu unterstützen, damit er Selbstvertrauen entwickeln und lernen kann. Ich werde ihm sagen, dass er lernen muss, ein wenig anders zu lesen …“
„Nein …“, fiel ihr Michel ins Wort.
„Doch“, widersprach sie und verblüffte ihn damit völlig. Niemand, außer seiner Mutter, der Königin, wagte es, ihm ins Wort zu fallen. „Aufrichtigkeit und eine positive Grundeinstellung sind die Pfeiler meiner Arbeit, ganz gleich, welches Kind ich unterrichte“, erklärte sie resolut. „Ich werde ihm sagen, dass er Erfolg haben kann, weil es die Wahrheit ist.“
„Mademoiselle Gillian …“
„Bitte nennen Sie mich Maggie“, unterbrach sie ihn schon wieder. „Für mich sind solche Formalitäten unnötig.“
Michel zögerte. Er wusste nicht recht, wie er mit dieser ungewohnten Bitte umgehen sollte, und zog es deshalb vor, sie zu ignorieren. Maggies Hände fielen ihm ins Auge, weil sie die Finger ineinander verschränkte und langsam hin und her schob. Es waren schlanke, zierliche Finger, aber sie wirkten dennoch kräftig. Ihre Nägel waren unlackiert, doch etwas an der Art, wie sich diese Frau bewegte, wirkte irgendwie … erotisch.
Michel rief sich selbst zur Ordnung und verdrängte diese Gedanken. „Maximillian hat eine richtige Aversion gegen Bücher entwickelt. Er hat überhaupt kein Selbstvertrauen mehr.“
Maggie nickte. „Ich kann diese Aversion gegen Bücher verstehen. Er hat viel von seinem Selbstvertrauen verloren, aber nicht alles. Kinder sind unglaublich widerstandsfähig. Ein klein wenig Hoffnung kann sehr viel bewirken.“ Sie wurde ernst. „Es gibt da noch etwas, das ich mit Ihnen besprechen muss. Man hat mich nicht darüber informiert, dass ich in einem Palast arbeiten muss. Ich habe keine Ahnung von höfischem Protokoll. Ich habe nicht das richtige Knicksen eingeübt, und – um ganz offen zu sein – für mich hat das absolut keine Bedeutung. Allerdings hat man mir in Aussicht gestellt, dass ich großen Spielraum bei meiner Arbeit hier haben würde. Falls ich diesen Spielraum nicht bekommen sollte, bin ich vielleicht nicht die richtige Person für diesen Job.“ Sie strich mit der Hand über ihren Hals, während sie das sagte.
Jetzt beugte sie sich leicht vor und richtete den Blick auf ihn. Die Geste gab Michel das Gefühl, dass sie ihm vertraute. Er fühlte sich ihr plötzlich sehr nah. Sein Blick fiel auf ihre Hände, und dann konnte er nicht anders. Er ließ den Blick über ihren Körper wandern. Über ihren glatten Hals, ihre Brüste … Das Kleid und was immer sie darunter tragen mochte, schien zu verschwinden, und er stellte sich vor, wie diese Brüste aussehen mochten, blass, mit harten rosa Spitzen. Sein Blick wanderte tiefer, und Michel stellte sich ihre Taille vor, ihren Bauchnabel, ihre glatten Schenkel …
Er hatte gerade im Geist die Hauslehrerin seines Sohnes ausgezogen! Michel unterdrückte einen Fluch. Er brauchte wirklich ein Glas Wein und eine Stunde für sich allein.
Mit allen möglichen Fragen hatte er sich heute herumgeschlagen, von Außenpolitik bis Gesetzgebung, aber es war diese Frau, die ihm Kopfschmerzen verursachte. „Was genau haben sie mit Maximillian vor?“
„Ich werde ihm helfen, seine Leidenschaft fürs Lernen wiederzuentdecken.“
Allein die Erwähnung des Wortes Leidenschaft ließ Michel innerlich erschauern. Er dachte an Dinge, die er sich so lange nicht mehr zugestanden hatte.
„Wir werden etwas sehr Wichtiges tun.“
„Und das wäre, Mademoiselle Gillian?“
„Maggie“, verbesserte sie ihn und lächelte. Ihr Lächeln wirkte so sinnlich. „Max und ich werden gemeinsam Spaß haben.“
Einige wenige Momente hatte es auch in Michels Kindheit gegeben, in denen Spaß eine Rolle gespielt hatte. Er wünschte sich, dass sein Sohn Spaß hatte, aber er wusste auch nur zu gut, wie viel Verantwortung Maximillian eines Tages würde tragen müssen. „Mein Sohn wird eines Tages herrschen. Ihn
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