Romana Extra Band 6
goldenen und roten Blättern auf den Gehwegen und Plätzen in Chelsea. Die Tage waren noch warm genug, um sich auf eine Bank zu setzen und alles zu skizzieren, was ihr gefiel.
Eines Tages erschrak Liz zutiefst, als plötzlich eine Männerstimme „Liz!“ rief. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte sie, es wäre David, und war hin und her gerissen zwischen Schreck und Freude.
Aber der Mann auf der anderen Straßenseite war nicht David. Zuerst erkannte sie ihn nicht. Als er zu ihr herüberkam und sagte: „Du bist es wirklich, ich war mir nicht ganz sicher. Liz, erkennst du mich nicht?“, war sie immer noch am Rätseln. Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Das erste Mal, seit sie in London war, lächelte sie.
„Barney! Mein Gott, hast du dich verändert. Ich wäre an dir vorbeigelaufen, ohne dich zu erkennen.“
„Du hast dich auch ganz schön verändert. Aber ich habe die tollen Beine wiedererkannt. Wirklich schön, dich zu sehen. Darf ich dich in den Arm nehmen?“
„Natürlich.“ Sie umarmten sich freundschaftlich.
Sie gingen in ein nahe gelegenes Café. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis beide über das, was sich seit ihrer jugendlichen Romanze im Leben des anderen ereignet hatte, auf dem Laufenden waren. Barney hatte inzwischen zwei kleine Kinder, war aber schon wieder geschieden. Liz erzählte nur, dass sie eine längere Beziehung hinter sich hatte und jetzt allein war.
„Ich muss jetzt weiter, aber hast du in der nächsten Zeit einen Abend frei?“, fragte er. „Wollen wir mal zusammen essen gehen? Wir haben uns noch so viel zu erzählen.“
„Gern, Barney. Ich habe immer Zeit, schlag etwas vor.“
Er wirkte überrascht. „Na, dann gleich heute Abend.“
Später gab Liz sich das erste Mal, seit sie Blackmead verlassen hatte, Mühe mit ihrem Äußeren. Dabei kam ihr plötzlich der Gedanke, dass Barney sich für diesen Abend falsche Hoffnungen machen könnte. Obwohl er jetzt noch viel attraktiver war als der langhaarige Student, in den sie sich damals verliebt hatte, hatte sie kein Interesse, diese Beziehung wieder aufleben zu lassen. Sie nahm sich vor, ihm das gleich zu Beginn des Abends klarzumachen.
Barney holte sie in ihrer Wohnung ab, und sie konnte ihm Bier, Wein oder Gin anbieten. Die Getränke, etwas zu knabbern und zwei Topfblumen hatte sie am Nachmittag gekauft. Ein weiterer kleiner Schritt in Richtung Normalität.
Als sie ihm sein Bier reichte, sagte sie: „Barney, darf ich offen sein? Ich bin allein, und ich bin einsam. Aber ich wünsche mir nur Freundschaft. Alles andere ist tabu.“
„In Ordnung, Liz. Ich wäre nicht abgeneigt gewesen. Aber ich kann ein Nein vertragen.“
Sie gingen ins „Gavvers“ in der Lower Sloane Street. Auch dieses Lokal gehörte den Gebrüdern Roux, war aber für eine weniger wohlhabende Klientel konzipiert als „Le Gavroche“.
„Ich habe gehört, dass das Essen hier fast genauso gut ist wie in ihrem Dreisternerestaurant“, bemerkte Barney, als man ihnen einen Tisch zugewiesen hatte.
Der Geräuschpegel war ziemlich hoch, sodass Barney ihr die Geschichte seiner unglücklichen Ehe anvertrauen konnte, ohne die Nachbartische damit zu unterhalten.
„Wenn ich damals nicht so eifersüchtig gewesen wäre, wären wir zwei vielleicht noch zusammen. Ich konnte nichts dagegen machen. Es lag wahrscheinlich daran, dass ich nie jemanden gehabt hatte, der zu mir gehörte.
Alles, was ich dir über meine Familie erzählt habe, war gelogen. Ich bin zusammen mit dreißig anderen Kindern aufgewachsen und mit dem Personal, das dafür bezahlt wurde, uns zu beaufsichtigen.“
„Heißt das, du bist im Waisenhaus aufgewachsen?“
„Das ist richtig. Es war nicht schlecht dort, aber man musste alles teilen. Ich wollte etwas für mich alleine haben. Deshalb mochte ich es nicht, wenn du andere Freunde getroffen hast.“
„Warum hast du mir das nicht erzählt, Barney? Du hast doch nicht geglaubt, dass ich dich deshalb weniger mögen würde?“
„Eigentlich nicht. Mein gesunder Menschenverstand hat mir gesagt, dass dir das völlig egal wäre. Aber ich habe befürchtet, dass es deiner Familie nicht gefallen würde.“
„Ich wünschte, du hättest es mir gesagt“, warf Liz ein. „Wie wenig wir doch über die Menschen wissen, die wir zu kennen glauben. Ich muss mit achtzehn ganz schön naiv gewesen sein. Ich hätte mir denken können, dass es einen besonderen Grund dafür gab, warum du so warst. Das ist zehn Jahre her. Klingt das nicht wie eine
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