Romana Extra Band 6
abschätzen, wie es zwischen Rosalie und ihm weitergehen würde, aber eines wusste er dafür ganz genau: Auf keinen Fall wollte er tatenlos mit ansehen, wie Richard und Geneviève ihr noch weiter das Leben schwer machten.
Er musste etwas unternehmen.
Jetzt sofort.
Die Kirchturmuhr von Laurins-les-Fleurs zeigte bereits Viertel vor eins an, als Geneviève auf ihren hochhackigen Schuhen über den kopfsteingepflasterten Marktplatz stöckelte. Laurent entging nicht, dass die Blicke sämtlicher Männer auf sie gerichtet waren. Ein bitteres Lächeln umspielte seine Lippen. Es hat sich wirklich nichts geändert …
Er ersparte sich den Hinweis, dass sie bereits um zwölf verabredet gewesen waren. Geneviève würde es ohnehin nur mit einem lapidaren Schulterzucken zur Kenntnis nehmen. „Wollen wir hineingehen?“, fragte er stattdessen und deutete mit einem Kopfnicken zu dem kleinen Café gegenüber der Kirche.
„Ich bevorzuge einen Platz an der Sonne“, erklärte Geneviève und hielt zielstrebig auf einen der freien Tische auf der Terrasse zu. Sie nahm Platz und wartete, bis auch Laurent sich nach kurzem Zögern gesetzt hatte. Dann schenkte sie ihm ein strahlendes Lächeln. „Nun, ich muss schon sagen, ich war einigermaßen überrascht, als meine Pensionswirtin mir deine Einladung ausrichtete. Als wir uns das letzte Mal begegnet sind, hättest du mir am liebsten den Hals umgedreht, schon vergessen?“
Laurent räusperte sich. „Nein, ich habe nichts vergessen“, entgegnete er düster. „Überhaupt nichts.“
„Du hast dich wirklich nicht verändert, weißt du das?“ Geneviève lachte. „Noch immer derselbe alte Dramatiker. Warum hören wir nicht einfach auf, um den heißen Brei herumzureden? Du willst mich zum Teufel jagen, das sehe ich in deinen Augen. Und doch hast du um dieses Treffen gebeten. Ich frage mich, warum. Was willst du von mir?“
„Dass du auf der Stelle aufhörst, deine kleinen intriganten Spielchen mit Rosalie zu spielen!“, entgegnete Laurent wütend. „Ich meine es ernst, Geneviève. Lass sie in Ruhe!“
„Sonst?“ Sie hob eine Braue. „Bekomme ich es dann mit dir zu tun?“ Wieder lachte sie. „ Mon dieu , ich zittere vor Angst!“ Schlagartig wurde ihre Miene ausdruckslos. „Erwartest du ernsthaft, dass ich mich davon beeindrucken lasse? Du warst noch nie besonders gut darin, andere einzuschüchtern, cheri .“
„Ganz im Gegensatz zu dir, n’est-ce pas ? Dir macht es Spaß, Menschen zu manipulieren – so lange, bis sie nach deiner Pfeife tanzen. Aber ich sage dir eines: Ich bin einmal auf dich hereingefallen, und ich werde es gewiss nicht noch einmal tun. Und was Rosalie betrifft: Ich befehle dir, sie in Frieden zu lassen!“
Einen Moment lang schaute Geneviève ihn überrascht an, dann lachte sie. „Dein Humor ist zu köstlich. Also wirklich, Laurent.“
Rosalie fühlte sich, als hätte ihr jemand den Boden unter den Füßen weggezogen. Am Vormittag war sie aus dem Haus gegangen, um in Ruhe über alles nachzudenken und sich darüber klar zu werden, wie es weitergehen sollte. Als sie aus der Tür trat, hatte sie in der Morgenpost einen Brief der Bank vorgefunden, die ankündigte, den Kredit ihres Großvaters aufgrund der häufigen Zahlungsrückstände aufzukündigen, obwohl Rosalie sämtliche fälligen Raten beglichen hatte.
Doch nicht einmal diese erneuten Schwierigkeiten hatten ihrer positiven Stimmung etwas anhaben können. Seit ihrem letzten Gespräch mit Laurent konnte sie kaum an etwas anderes denken als an ihn. Und für heute Abend hatte sie sich fest vorgenommen, ihn anzurufen und um ein Treffen zu bitten. Sie fand, dass es an der Zeit war, ihm ihre Gefühle zu gestehen.
Zumindest hatte sie das vor ein paar Minuten noch für eine gute Idee gehalten. Doch das, was sich da vor ihren Augen abspielte, ließ mehr als nur leise Zweifel in ihr aufkommen.
Nein, das konnte nicht wahr sein, das durfte einfach nicht wahr sein! Von Weitem sah sie Laurent auf der Terrasse des kleinen Straßencafés am anderen Ende des Marktplatzes sitzen – in Begleitung von Geneviève Dupré!
Einträchtig und friedlich saßen die beiden an einem Tisch. Für Passanten mochte es ein schöner Anblick sein: der Anblick eines verliebten, fröhlichen Pärchens.
In Rosalie löste er ein Gefühl tiefster Erniedrigung und grenzenloser Scham aus.
Gerade lachte die blonde Französin über etwas, was Laurent sagte.
Vermutlich lacht sie über dich! Darüber, wie naiv und dumm du bist!
Hastig
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