Romana Extra Band 6
Veranstaltung nur für geladene Gäste.
Die Fragen, was sie zu dem Anlass anziehen sollte und ob ihr Onkel ihr die Verwendung von Make-up gestatten würde, hatten sie zu sehr beschäftigt, als dass sie Gedanken an die übrigen Gäste verschwendet hätte. Umso größer war Hannahs Überraschung gewesen, als sie die Galerie am Arm ihres Onkels betrat – in einem neuen Kleid und mit einem Hauch von Wimperntusche – und ihr erster Blick auf Prinz Michael fiel.
Mit seinen gut einen Meter fünfundachtzig war ihr der attraktive Prinz wie die Verkörperung ihrer Mädchenträume erschienen. Dass er zwölf Jahre älter war, hatte sie ebenso wenig gestört wie die Gerüchte über seine baldige Verlobung mit seiner langjährigen Freundin Samantha Chandelle. Hannah hatte es genügt, ihn aus der Ferne anzuhimmeln. Allein sich im selben Raum mit ihm aufzuhalten, hatte ihr Freudenschauer über den Rücken gejagt.
In den letzten Jahren hatte sie einige Männer kennengelernt und sich mit dem einen oder anderen auf eine Beziehung eingelassen. Keiner von ihnen hatte in ihr jedoch so heftige Emotionen ausgelöst wie Prinz Michael durch seine bloße Anwesenheit – nicht einmal ihr Exverlobter Harrison Parker, ein englischer Earl.
In wenigen Minuten würde sie dem Prinzen erneut gegenüberstehen und sogar mit ihm sprechen – vorausgesetzt, die Stimme versagte ihr nicht. Sie musste ihn davon überzeugen, dass sie fähig war, sich um seine Tochter zu kümmern – was ihr bedeutend leichter fallen würde, wäre sie sich ihrer Sache sicher. Anfangs hatte sie den Vorschlag ihres Onkels, während der Sommerferien als Kindermädchen auf die kleine Prinzessin aufzupassen, für eine Schnapsidee gehalten – vom Gegenteil überzeugt war sie immer noch nicht.
Andererseits brauchte sie das Einkommen, und ihr Onkel hatte ihr das Versprechen abgerungen, sich wenigstens beim Prinzen vorzustellen.
Es sollte kein Problem sein, sich um ein fast vierjähriges Mädchen zu kümmern, sprach sich Hannah Mut zu. Eine Horde pubertierender Jugendlicher für englische Literatur zu begeistern, wie sie es während des Schuljahrs tat, war bestimmt um einiges schwieriger. Dennoch war sie angespannt.
An das Leben in einfachen Zelten und Lehmhütten gewöhnt, hatte sie bei ihrer Ankunft in Port Augustine schon das Haus ihres Onkels als ausgesprochen luxuriös empfunden. Dort gab es nicht nur ein Bett für sie allein, sondern ein ganzes Zimmer, außerdem einen Kleiderschrank, ein Bücherregal und jeden Abend eine warme Mahlzeit.
Doch das war nichts im Vergleich zu der Pracht von Verde Colinas. Ein Butler öffnete ihr die zweiflüglige Eingangstür und führte sie durch eine weitläufige, mit Marmor ausgelegte Eingangshalle, von deren hoher Decke ein riesiger Kristalllüster hing. Auf dem weiteren Weg durch einen langen Korridor, dessen Wände mit Werken zahlreicher europäischer Künstler geschmückt waren, dämpften dicke Perserteppiche ihre Schritte.
Schließlich erreichten sie das Büro des Prinzen. Die Tür stand offen, und Hannah sah Prinz Michael an einem großen Schreibtisch sitzen. Die Wand hinter ihm wurde von Bücherregalen eingenommen, eine andere von einem raumhohen, von schweren Samtvorhängen gesäumten Fenster.
„Miss Castillo, Königliche Hoheit“, stellte der Butler sie vor, ehe er sich verneigte und zurückzog.
Soll ich mich auch verneigen oder lieber knicksen? überlegte Hannah fieberhaft. Sie hatte leider versäumt, ihren Onkel über das höfische Protokoll auszufragen.
Ihre Sorge erwies sich als unbegründet. Der Prinz hielt den Blick noch eine Weile auf den Computerbildschirm geheftet, was Hannah genügend Zeit gab, durchzuatmen und sich zu fassen. Er ist auch nur ein Mann wie jeder andere, sprach sie sich Mut zu, doch als er aufstand, erkannte sie ihren Irrtum.
Von einem Durchschnittsmann konnte keine Rede sein. Er war deutlich größer und breitschultriger als in ihrer Erinnerung und viel attraktiver als auf allen Fotos in den Zeitschriften und Magazinen.
„Nehmen Sie Platz“, forderte er sie auf und wies auf einen der Stühle vor seinem Schreibtisch.
„Danke.“ Schauer rieselten ihr über den Rücken – ob als Reaktion auf die Begegnung mit einem Angehörigen des Königshauses oder als die einer Frau auf einen gut aussehenden Mann, wusste Hannah nicht. Reiß dich zusammen, das ist kein Rendezvous, sondern ein Vorstellungsgespräch.
„Sie möchten also das neue Kindermädchen meiner Tochter werden“, kam der Prinz
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