Romana Gold Band 11
keine mitleidigen oder spöttischen Blicke, die sie erntete, eher bewundernde und sogar neidische, weil sie einen so attraktiven Begleiter hatte.
Normalerweise hätte es Lorna geschmeichelt, so beachtet zu werden, aber heute war sie selbst dazu zu müde. Sie wollte nur noch nach Hause, so rasch wie möglich.
In ihrem benommenen Zustand merkte sie wenig von der kurzen Rückfahrt, und Martin musste Lorna sanft schütteln, als sie Glenmore erreicht hatten. „Sind wir da?“, fragte sie schläfrig und blinzelte durch die Scheibe.
„Ja.“ Martin löste ihren Sicherheitsgurt und öffnete von innen die Tür. „Steig aus, Lorna. Du schläfst ja schon halb.“
Er begleitete sie ins Haus und brachte sie bis an ihr Schlafzimmer. Ehe sie hineinging, drehte sie sich noch einmal um und sagte: „Danke, dass du mich nach Hause gebracht hast – und dafür, dass du mich überredet hast, mitzukommen. Aber musstest du vorher so grausam sein?“
„Grausam?“ Der Vorwurf verblüffte Martin. „Was meinst du damit?“
„Nun, zumindest unfreundlich. Die vielen Fragen, die du stelltest … die Versuche, mich einzuschüchtern …“ Die Szene in der Küche stand ihr plötzlich wieder klar vor Augen.
Martin sah Lorna überrascht an. „Was hätten wir erreicht, wenn ich nett und verständnisvoll gewesen wäre und dich mit einer Wärmflasche ins Bett gesteckt hätte? Du hättest das Wiedersehen mit Jan und Jane nun noch vor dir, während jetzt alles aus der Welt geschafft ist. Ganz abgesehen davon, dass du vorhin Gelegenheit hattest, dir über Jan klar zu werden.“
„Über Jan? Wie meinst du das?“
„Muss ich dir das wirklich erklären?“, fragte Martin ernst. „Und ehe du weitersprichst – es war auch nicht leicht für mich. Ganz und gar nicht leicht.“ Er öffnete die Tür und schob Lorna sanft vorwärts. „Morgen früh wird alles anders aussehen. Schlaf dich erst mal richtig aus.“
Er beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie auf die Stirn. Dann drehte er sich rasch um und ging in sein eigenes Zimmer, ohne noch einmal zurückzublicken.
9. KAPITEL
Lorna konnte nicht einschlafen. Mit geschlossenen Augen durchlebte sie noch einmal alle Szenen und Ereignisse des Tages. Jede kleine Einzelheit kam in der Erinnerung zurück und quälte sie – am meisten Jans fassungsloser Ausdruck, als sie ihn umarmt und geküsst hatte.
Sie drehte sich von einer Seite auf die andere, aber der Schlaf wollte nicht kommen. Als die große Standuhr auf dem oberen Treppenabsatz drei Uhr schlug, hielt sie es nicht länger aus.
„Ich muss etwas trinken“, murmelte sie zu sich selbst und schlug die zerdrückte Bettdecke zurück. „In der Küche mache ich mir etwas Heißes zu trinken.“
So früh am Morgen war es noch kühl im Haus, und Lorna hüllte sich in den breiten Schal, den sie zum Tanzen mitgenommen hatte, ehe sie leise nach unten ging, um den Kessel aufs Feuer zu stellen.
Sie setzte sich an den großen Küchentisch und wartete. Die tiefe Stille, die im Haus herrschte, tat ihr gut und hüllte sie schützend ein so, wie sie sich auch auf dem geschnitzten Eichenstuhl wohlfühlte, in dem ihr Vater immer gesessen hatte. Die Erinnerungen an den gestrigen Tag begannen zu verblassen, und der Kummer lastete nicht mehr so schwer auf Lorna.
Das Leben würde weitergehen. Sie würde weiter ihr Gästehaus führen, weiter Reitausflüge in die Umgebung unternehmen, die sie so liebte, und allmählich würden die Wunden heilen, die jetzt noch schmerzten. Ihr Leben würde anders verlaufen, als sie es sich an Jans Seite vorgestellt hatte, aber es gab genügend andere Dinge, um die Tage auszufüllen und ihnen einen Sinn zu geben.
Das Wasser im Kessel begann zu sprudeln. Lorna goss Tee auf und wartete erneut, um ihn ziehen zu lassen.
Aber was war das? Ein Knarren auf der Treppe? Sie lächelte. Jedes alte Haus hatte seine nächtlichen Geräusche. Sie griff nach der Zuckerdose und erstarrte, als sich das Geräusch wiederholte. Lauter diesmal. Ihr Herz begann heftig zu klopfen, während sie regungslos dasaß und angespannt lauschte. Doch es blieb still, und bald war sie davon überzeugt, dass ihre Einbildung ihr einen Streich gespielt hatte. Sie goss sich Tee ein, tat reichlich Milch und Zucker dazu und wärmte ihre Hände an dem Becher, ehe sie den ersten Schluck trank. Es ging doch nichts über frisch aufgebrühten Tee.
Da war das Geräusch wieder! Nein, das konnte nicht mehr die Treppe sein. Lorna stellte den Becher hin und wollte gerade
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