Romantic Christmas - Verführung (German Edition)
Tränen.«
»Fehlt es Ihnen nicht?«, fragte Tamsyn.
Forschend blickte die Mediale Tamsyn ins Gesicht. »Von den geplatzten Äderchen in ihren Augen und der verstopften Nase nach zu urteilen kann ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass Weinen keine angenehme Empfindung ist. Warum sollte es mir also fehlen?«
»Aber, ich meine … die Gefühle, vermissen Sie denn die Gefühle nicht?« Liebe und Hass, Freude und Verlangen.
»Wie soll ich etwas vermissen, was ich nie kennengelernt habe?«, antwortete die Frau, als erklärte sich das ja wohl von selbst. »Mein Volk hat sich aus gutem Grund dafür entschieden, Gefühle auszumerzen. Gefühle machen schwach und angreifbar, wir hingegen sind stark. Deshalb sind wir auch die Herrscher über die Welt.« Mit einem kurzen Nicken verabschiedete sie sich und ging.
Tamsyn starrte ihr hinterher.
Die Worte der Medialen tanzten ihr im Kopf herum. Gefühle machten schwach und angreifbar. Im Bildschirm des Terminals spiegelte sich ihr müdes und abgespanntes Gesicht, und sie musste der Frau zustimmen. Einen frostigen Augenblick lang wünschte sie, sie wäre so wie diese Mediale. Kühl, beherrscht und konzentriert. Keine Bindungen, keine Hoffnungen, keine Träume.
Und kein Nathan.
Mit einem Mal schlug sie ihre halbgeschlossenen Lider wieder auf. »Nein«, flüsterte sie entschlossen. Eine Welt ohne Nathan wollte und konnte sie sich nicht vorstellen. Auch wenn er sie ebenso oft zum Weinen wie zum Lachen brachte, eines Tages aufzuwachen und an seiner statt nur Leere zu finden, war ein unerträglicher Gedanke.
Tamsyn wusste nicht, warum und wie die Medialen ihre Gefühle ausgelöscht hatten, aber sie mussten schwerwiegende Gründe dafür gehabt haben. Als Heilerin fühlte sie mit ihnen, denn nie würden sie wahre Liebe erfahren, doch Tamsyn konnte ihnen nicht helfen. Nicht, wenn die Medialen verschanzt hinter den Mauern ihrer Hochhäuser die Hoffnung aufgegeben hatten.
Deshalb sind wir auch die Herrscher über die Welt.
Energisch schüttelte Tamsyn den Kopf. Die Fremde hatte unrecht. Die Medialen herrschten, aber ihre Welt war auf Türme aus Glas und Stahl beschränkt. Nichts wussten sie von den Freuden, bei Vollmond durch die Wälder zu jagen und dem Wind zu lauschen, das Fell eines Rudelgefährten auf der nackten Haut zu spüren und das ursprüngliche Leben im Wald zu erleben.
Aber in einer Hinsicht hatte die Frau recht: Wie sollte man etwas vermissen, das man nie kennengelernt hatte? Nathan hatte ihr noch nie gehört. Ihre Leoparden mochten sich vor Sehnsucht nacheinander verzehren, aber wenn Nathans menschliche Seite den Bund ablehnte, was sollte sie schon dagegen tun?
Am nächsten Tag verließ Tamsyn das Rudel. Es gab einfach keinen anderen Ausweg. Wenn sie in Nathans Nähe blieb, dann würde ihn die Raubkatze früher oder später doch umstimmen. Und den Gedanken, dass er womöglich nur mit ihr ins Bett gehen würde, weil die Katze ihn dazu drängte, konnte sie nicht ertragen. Das wäre ihre ganz private Hölle.
Ihr Freund Finn kam gerne. Es machte ihm auch nichts aus, dass sie ihm so kurzfristig Bescheid gesagt hatte.
»Der Heiler unseres Rudels ist noch nicht mal vierzig. Für mich gibt es die nächsten Jahre nichts Großes zu tun«, verriet er ihr, als sie ihn vom Flughafen abholte, um ihn in das Territorium der DarkRiver-Leoparden zu geleiten. Das Rudel war nicht gerade für seine Gastfreundschaft gegenüber Fremden bekannt. Nach dem Angriff der ShadowWalker-Wölfe konnten sie sich das auch nicht mehr leisten.
»Ich weiß«, erwiderte sie. »Deshalb habe ich ja auch dich und nicht Maria gefragt.«
Er lächelte, doch seine Augen blickten wachsam. »Finde ich ehrlich nett.«
Ihm lag eine Frage auf den Lippen, aber Tamsyn ignorierte sie. »Ich stelle dich erst einmal unserem Alpha vor. Er weiß selbstverständlich, dass du kommst, aber die Rangordnung muss gewahrt werden.« Die Rangordnung hatte ihre Berechtigung, schuf sie doch ein gesundes Gegengewicht zu ihrer Raubtiernatur.
Finn nickte. »Ich habe ein besseres Gefühl, wenn er mich erst mal in euer Rudel aufgenommen hat. Wäre ja ziemlich blöd, wenn einer deiner Rudelgefährten Hackfleisch aus mir macht, bloß weil er mich für einen Eindringling hält.«
Tamsyn sah das genauso, also schleppte sie ihn zuallererst zu Lachlan. Trotz dieser Verzögerung war sie schon am Spätnachmittag aufbruchsbereit. »Gib gut auf mein Rudel acht, Finn!«
Dieses Mal hielt der einundzwanzigjährige
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