Romeo für immer, Band 02
mich zu bestrafen.« Vielleicht stimmt es, vielleicht aber auch nicht. Es gelingt mir jedenfalls, es wie eine Tatsache klingen zu lassen. »Sie will mich leiden lassen. Deshalb hat sie mich erneut hierhergeschickt.«
»Du wurdest auf einem Wagen hergebracht. Das habe ich mit eigenen Augen … «
»Nein, nicht hierher in die Gruft. Hierher in diese Zeit. Ich komme aus der Zukunft. Ich war mehr als siebenhundert Jahre eine Botschafterin.« Noch während ich rede, spüre ich die Veränderung. Er ist fasziniert und denkt endlich darüber nach, ob ich es wohl wert bin, aus dieser Falle befreit zu werden. »Romeo und ich haben jahrhundertelang als Feinde weiterexistiert. Als du mich gefangen genommen hast, hat er dir die Stirn geboten. Er hat versucht, mich zu verschonen, aber es ist ihm nicht gelungen. Stattdessen hat meine Amme mich dann hierhergeschickt.«
»Du lügst doch«, entgegnet er, aber die Sicherheit in seiner Stimme schwindet.
»Du hast selbst gemeint, ich sei eine schlechte Lügnerin. Deshalb solltest du eigentlich wissen, dass ich jetzt die Wahrheit sage.« Ich bete, dass diese Mischung aus Wahrheit und Fantasie glaubhaft klingt. »Die Amme hat mich hierhergeschickt, weil sie mich sterben lassen will, als Strafe für meine Weigerung, den Eid als Botschafterin zu erneuern. Aber ich möchte leben. Ich werde für dich töten und dir Treue schwören. Ich werde alles tun, um sie dafür bezahlen zu lassen, dass sie Romeo einen Platz in ihrer Welt gibt, obwohl er nur Schmerz und Leid verdient.«
»Hm.« Es klingt nach einem Lachen, doch es ist keines. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, deshalb schweige ich und warte, bis er endlich redet. » Falls es stimmt, was du sagst«, antwortet er und kommt näher, »falls deine Vision wahr ist und du aus der Zukunft kommst, dann befindet sich Romeo außerhalb unserer Reichweite, in einer anderen Zeit. Die Magie der Söldner ist an Zeit und Raum gebunden. Ich dachte immer, das dies auch für die Magie der Botschafter gilt, aber letztendlich spielt es keine Rolle.« Er beugt sich ächzend über mein Grab und flüstert durch den Spalt: »Die traurige Wahrheit ist, dass ich dich nicht in die Zukunft senden kann, um dir Romeo ans Messer zu liefern. Welches Opfer hast du mir also sonst noch anzubieten?«
»Meinen Vater«, krächze ich und versuche, den Kloß in meiner Kehle zu ignorieren. »Ich liebe ihn zwar nicht so, wie ich Romeo geliebt habe, aber ich liebe ihn.«
»Deinen Vater«, wiederholt er unbeeindruckt.
»Ich habe ihn jahrhundertelang nicht gesehen. Nichts auf der Welt wünsche ich mir mehr, als dass er mich in seine Arme nimmt.« Der Kloß in meiner Kehle wird immer dicker und macht mir das Atmen schwer. »Aber ich werde ihn töten, wenn du mich befreist.«
Er schweigt eine Ewigkeit. In der Stille bleibt mir Zeit, über meine Worte nachzudenken. Ich bin von mir selbst angeekelt. Hunger, Durst und Todesangst haben mich gebrochen. Könnte ich wirklich töten, um freizukommen? Könnte ich meiner festen Überzeugung, dass aus Mord nichts Gutes entsteht, zuwiderhandeln? Auch wenn es der Mönch wäre, der sterben müsste, dieser Mann, der seit Jahrhunderten nur die Saat des Bösen sät?
Nein. Ich kann es nicht. Ein Mord würde nichts besser machen, nur ich wäre schlechter. Aber Lügen… Ich habe mit dem Lügen meinen Frieden gemacht und werde ihm alles vorlügen, was nötig ist, um dieser Hölle zu entkommen.
»Du möchtest also ein Söldner werden«, sagt der Mönch schließlich ausdruckslos.
»Ich möchte es nicht, aber ich werde es tun, weil es die einzige Möglichkeit ist, Rache zu üben.«
Er summt leise vor sich hin. »Das würdest du tun? Du würdest gegen den Botschafter kämpfen, zu dem Romeo wird?«
Ich nicke und balle die Fäuste. »Ja«, flüstere ich.
»Also schön«, sagt er schließlich. »Ich denke, dein Vater wird seinen Zweck erfüllen.«
Ich zucke zusammen, als plötzlich die Steine so laut gegeneinanderschrammen, dass die Wände des Sarkophags erzittern, der eigentlich mein Totenbett hätte sein sollen. Das graue Dämmerlicht der Gruft schmerzt in meinen Augen, und die modrige Luft streicht über mein Gesicht. Ich atme sie erleichtert ein, und mein schwacher Puls beschleunigt sich. Selbst die Arme dieses Ungeheuers, das mich jetzt aus der Dunkelheit befreit, sind besser als der langsame, qualvolle Tod, der dort auf mich gewartet hat.
Ich werde diesen Armen entkommen. Ich muss einen Weg finden.
»Bist du bereit?« Die Finger
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