Romeo für immer, Band 02
meinem Glück und meinem Herzen umgegangen. »Ich habe dich um gar nichts gebracht, sondern dir die Möglichkeit gegeben, mehr zu erreichen. Jedes Mädchen kann heiraten und Kinder bekommen. Aber nicht jedes Mädchen kann den Lauf der Geschichte verändern, die Welt retten und für die Liebe und das Licht kämpfen. Du bist etwas ganz Besonderes.«
Eine einsame Träne fließt über mein Gesicht. »Nein.«
»Manche sind zu Höherem berufen, Julia.«
»Es gibt für einen Menschen nichts Höheres als die Liebe.« Mein immer langsamer schlagendes Herz dröhnt schmerzhaft laut in meinen Ohren. »Nachdem du jahrhundertelang für die Liebe gekämpft hast, denkst du wirklich … ? Ausgerechnet du denkst so?« Trotz meiner Schwäche schaffe ich es, meinen Kopf abzuwenden, kraftlos schlägt er auf dem harten Boden auf. »Aber du bist ja kein Mensch.«
»Nein. Nicht mehr.« Sie nimmt ihre Hand von meiner Stirn. »Aber ich habe ein Herz. Ich werde nicht zulassen, dass aus Romeo ein Botschafter wird. Ich habe jemanden gefunden, der ihn aus dem Weg räumen wird. Für dich.«
»Du tust … niemals … etwas … für mich…« Ich kann kaum noch sprechen. Mein Ende naht, das spüre ich. Stromstöße jagen durch mein Gehirn, explodieren und zerstören, was mich – Julia – ausmacht. Wie kleine Sterne, die aufleuchten, erstrahlen und schließlich erlöschen.
Sie seufzt. »Mein Eigeninteresse deckt sich mit dem, was das Beste für die Welt ist. Kannst du das auch von dir behaupten, Julia? Ich habe mir so viel mehr erhofft … « Sie schweigt. Wie die Gräber um uns, von denen einige noch leer sind. In den anderen liegen die Toten begraben. Einige habe ich gekannt und geliebt. Tybalt und meine Großmutter und meine kleine Cousine Louisa, die noch keine drei war, als sie starb. Vielleicht werde ich sie im Jenseits wiedersehen.
Ich könnte jetzt loslassen und gehen. Es wäre ganz leicht. Doch ich kann nicht aufhören, über das Leben nachzudenken, vom dem die Amme sprach. Hätte sie nicht eingegriffen, dann hätte ich mein Glück gefunden. Ich hätte einen Ehemann und Kinder gehabt und noch fünfzig Jahre eines ganz normalen Menschenlebens vor mir. Es fällt mir zwar schwer, mir vorzustellen, einen anderen als Ben zu lieben, aber …
Ben . Wenn ich ihn nur noch ein einziges Mal umarmen könnte …
Meine Augenlider flattern, ich sehe sein Gesicht vor mir, und meine Angst verschwindet. Er ist bei mir. Er wird immer bei mir sein.
»Du brauchst nur mehr Zeit.« Die Amme reißt mich mit gnadenlos starker Hand aus meinem Frieden.
Zuerst fühle ich nur einen so stechenden und grauenhaften Schmerz, dass mir die Luft wegbleibt. Doch dann strömt die Kraft der Amme in meinen Körper, und der Schmerz lässt nach. Ich atme tief ein. Bevor ich weiß, wie mir geschieht, hebt sie mich hoch, trägt mich zum Sarkophag und legt mich hinein.
Ich liege wieder in meinem Grab. Nein! Bitte nicht.
»Nein«, würge ich hervor. Wenn ich könnte, würde ich schreien. Doch ich habe weder Kraft zu schreien noch mich zu wehren. Ich kann nicht einmal meine Hände hochreißen und protestieren, als sich der Stein über mir langsam wieder schließt.
»Ich komme in ein paar Stunden zurück und hole dich«, flüstert sie in den Spalt, durch den der Mönch das Wasser getröpfelt hat. »Es dauert nicht lange. Ich bringe nur die Angelegenheit mit Romeo zu Ende, dann bin ich wieder da, ich komme in einem anderen Körper, aber du wirst mich erkennen. Wie immer.«
»Aber der Mönch … Er … «
»Er wird dir nichts tun«, sagt sie. »Er benutzt dich zwar als Köder, aber diesmal bin ich diejenige, die hier die Fäden zieht. Ich werde uns beide zu schützen wissen und ihn loswerden. Du wirst schon sehen. Wir werden weiterleben, Julia, und die nächsten siebenhundert Jahre werden völlig anders verlaufen. Du wirst große Macht haben. Wir werden die Welt von den Söldnern zurückerobern und der Menschheit Frieden bringen. Zusammen können wir es schaffen.«
Und dann ist sie weg. Ich höre den Körper, den sie zurücklässt, mit einem dumpfen Aufprall zu Boden fallen. Die Amme ist alt, sie hat Schmerzen im Rücken und in den Beinen. Hätte sie nicht die Magie der Botschafterin in sich, würde ihr dieser Sturz große Schmerzen bereiten. Doch sie gibt keinen Ton von sich.
»Amme!«, rufe ich, so laut ich kann. »Amme!«
Sie antwortet nicht. Es ist still, kein Atemzug ist zu hören, nichts rührt sich. Ich vermute, dass sie bereits tot war, bevor die Botschafterin
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