Romeo für immer, Band 02
des Mönches graben sich in meine schmerzenden Hüften. Ich versuche auszuweichen, doch meine Beine tragen mich nicht, meine Knie geben nach, und ich bin gezwungen, mich an ihn zu lehnen. Ich habe nicht die Kraft, alleine zu stehen. Doch das wird sich ändern. Sehr bald schon. Er muss mir neue Kraft geben. In meinem Zustand könnte ich nicht einmal eine Mücke töten, geschweige denn meinen Vater. Sobald er mir Kraft eingeflößt hat, werde ich weglaufen und mich verstecken.
»Ich bin bereit.« Ich schaue zu den Steinstufen, die aus der Gruft hinaus auf den Friedhof führen. Ich sehne mich verzweifelt nach frischer Luft.
»Dann hoffe ich nur, dass du die Wahrheit gesagt hast«, zischt der Mönch mit einer plötzlichen, brutalen Armbewegung.
Der Schmerz entzündet sich wie Feuer in meinem Bauch und breitet sich rasend schnell und unbarmherzig in mir aus. Ich lege meine Hände auf den Bauch und fühle mein eigenes Blut klebrig und heiß durch meine Finger rinnen. Mir bleibt nur der Bruchteil einer Sekunde, um zu begreifen, was er getan hat. Dann falle ich. Ich sinke vor seinen Füßen zusammen. Der letzte Funken Hoffnung in mir verglüht in dem Moment, als ich auf dem Boden aufpralle.
Er wusste, dass ich gelogen habe. Er gewinnt schon wieder und diesmal für alle Zeit.
Er kniet sich neben mich. Ich schließe die Augen, um nicht in sein niederträchtiges Gesicht blicken zu müssen. »Wenn sie dich wirklich hierhergeschickt hat, dann wird sie kommen, um dich zu holen«, flüstert er. »Deine Amme ist nicht grausam. Sie wird dir noch eine Chance geben wollen. Sobald sie auftaucht, wird sie entdecken, dass du tot bist. Ich werde auf sie warten und herausfinden, ob sich die Zeit wirklich so leicht durchqueren lässt, wie du behauptest, mein Kind.«
Ich öffne die Augen und will ihm sagen, dass er sich irrt. Der Amme ist es egal, was aus mir wird, weil ich nicht länger ihre Sklavin bin. Aber er ist schon auf dem Weg zur Treppe, eilt die Stufen hinauf, hinaus aus der Gruft in die Dunkelheit der Nacht. Oder des Morgens. Ich weiß es nicht und werde es auch nie erfahren. Ich sehe ihn fortgehen, seine Füße verschwinden aus meinem Blickfeld, während ich im Todeskampf um jeden Atemzug ringe.
Alles war vergebens, Jahrhunderte voller Kämpfe, Opfer und Lektionen, die ich lernen musste, und nun …
Sie erscheint im Dunkel der Gruft und tritt hinter einem der ältesten Sarkophage unseres Familiengrabes hervor. Sie wirft kurz einen Blick zur Treppe, über die der Mönch soeben verschwunden ist, und durchquert den Raum. Ihr Tuch hat sie eng um ihr graues Haar geschlungen, und sie ist blasser, als ich es in Erinnerung habe. Aber ich erkenne die alte Frau sofort.
»Amme«, keuche ich.
»Mein liebes Kind.« Mit ihren rauen, zerarbeiteten Händen ertastet sie mein Gesicht und streicht mir die Haare aus den Augen. »Wir haben nicht viel Zeit«, flüstert sie. »Du musst deinen Schwur erneuern, lass mich deine Seele ein zweites Mal retten, Julia.«
Sie ist nicht meine Amme. Es ist die Botschafterin im Körper meiner Amme. Sie hat die ganze Zeit mit angesehen, wie der Mönch mich gequält hat. Genauso wie sie Romeos Verrat und Hinterlist beobachtet hat, als man mich das erste Mal aus meinem Grab zog.
»Nein.« Mit meinen blutüberströmten Fingern wehre ich ihre Hände ab. »Dass du mich hierhergeschickt hast, ändert nichts an meiner Entscheidung.«
Überrascht sieht sie mich an. »Aber ich habe dich nicht hierhergeschickt.«
Ich antworte nicht. Sie ist genauso eine Lügnerin wie Bruder Lorenzo.
»Ich glaube, du wurdest vom Universum hergeschickt, es muss jedenfalls eine sehr viel höhere Macht gewesen sein als die eines Botschafters oder eines Söldners.« Sie küsst mich auf die Stirn; ich erschauere vor Ekel. »Dieser Weg ist dir vorherbestimmt, Julia. Du bist nun einmal kein gewöhnliches sterbliches Mädchen mit nur einem Leben. Du bist zu etwas Höherem berufen. Ich bin sehr froh, dass ich dich gefunden habe.«
»Wie?« Ich befeuchte mühsam meine Lippen und wehre mich gegen die aufsteigende Angst, die mir den Magen umdreht. »Wie hast du mich gefunden?«
»Die Realität hat sich verändert, nachdem du Ariels Körper verlassen hattest. Dort, wo Romeo und du die Zukunft und die Vergangenheit berührt habt, haben sich die Dinge verändert. Ich kann die verschiedenen möglichen Versionen der Welt sehen und wie Zeit und Raum sich verändern, je nachdem, welche Entscheidungen die Menschen treffen und welche
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