Romeo für immer, Band 02
Sicherheit nichts verkehrt. Sie schutzlos zurückzulassen wäre allerdings ein riesengroßer Fehler.«
»Und wie kommt es, dass du nach all den Jahren plötzlich ein Gewissen hast? Was denkst du wohl?« Sie stützt sich mit ihren leuchtenden Händen auf der Fensterbank ab und runzelt erbost die Stirn. Ein Anflug von Grausamkeit zeigt sich unter ihrer Schönheit. Ihr harter Gesichtsausdruck betont die feinen Linien um ihren Mund, und zum ersten Mal denke ich über das Alter ihres Körpers nach. Es liegt wohl eher bei vierzig als bei dreißig Jahren. »Du hast nur deswegen ein Gewissen, weil ich es dir gegeben habe. Du bist nicht besser als zuvor. Ohne mich wäre es dir niemals möglich gewesen, diesem Mädchen zu helfen. Es steht dir wohl kaum zu, dich darüber zu empören, dass wir uns nicht so um sie kümmern, wie du es gerne hättest.«
»Ihr kümmert euch doch überhaupt nicht um sie!« Ich ahme ihre kampfbereite Haltung nach und stütze mich am Fensterrahmen ab. »Wenn ich verschwinde, dann werden die Söldner sie töten. Du hast versprochen, über sie zu wachen, aber es hat nicht den Anschein, als tätest du das.«
»Du hast recht«, gibt sie zu. Ich schweige schockiert. »Ich wusste nicht, dass der Mönch sie in ihren Träumen heimsucht. Ich habe nur Zugang zu den schlafenden Seelen meiner eigenen Bekehrten. Mir war nicht klar, dass solch eine Verbindung zu einem Menschen möglich ist, der nie mit unserer Magie in Berührung kam.«
»Es ist aber so«, versichere ich ihr. »Sie hat mir den Mönch genau beschrieben.«
Sie seufzt. »Wenn das stimmt und er bereits einen Weg zu ihrem Unterbewusstsein gefunden hat, dann könnte er … «
»Er könnte sie in den Wahnsinn treiben«, beende ich ihren Satz. Mir bleibt fast das Herz stehen, als sie nickt und damit meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
»Und dann wird sie keine wahre Liebe mehr empfinden können, denn dazu müssen Seele und Verstand gesund sein. Man braucht einen klaren Verstand, um Herr über sein Herz zu sein«, sagt sie.
»Nein.« Ich schüttle den Kopf und weigere mich zu akzeptieren, was ich gerade gehört habe. »Das darf nicht geschehen. Wir müssen ihn aufhalten. Es kann doch nicht alles umsonst gewesen sein!«
»Psst!«, warnt sie mich, als Ariel im Schlaf aufstöhnt. Doch sie schläft immer noch tief und fest. »Es war nicht alles umsonst«, flüstert sie. »Immerhin wurdest du zum Licht geführt.«
»Ich … Das reicht nicht.« Hoffnungslos sinke ich zusammen. Ich fühle mich in die Situation unterm Baum zurückversetzt, als Julia und Ben der Gnade des Mönchs ausgeliefert waren. Damals sah ich keine andere Möglichkeit, als die beiden zu töten, bevor er es tun konnte. Aber ich könnte Ariel niemals umbringen. Nicht einmal, um sie vor einem schlimmeren Schicksal als dem Tod zu bewahren. Dazu liebe ich sie viel zu sehr. Mehr noch, ich habe große Achtung vor ihr. Es ist ihr Leben, und es gibt Entscheidungen, die man nicht für einen anderen treffen darf, mögen die Beweggründe noch so edel sein.
Die Erkenntnis trifft mich hart. Möglicherweise hat die Botschafterin ja recht. Ich weiß, dass ich Julia nicht durch meine List in den Selbstmord hätte treiben dürfen. Aber was, wenn es ebenfalls ein Fehler war, ihr unter dem Baum erneut das Leben genommen zu haben? Was, wenn ich auch diese Situation falsch eingeschätzt habe? Was wäre, wenn für sie Möglichkeiten existiert hätten, von denen ich nichts ahnte?
Möglichkeiten …
Plötzlich fällt mir wieder ein, was in dieser Realität alles anders ist. »Romeo und Julia« , verkünde ich. »Das Stück von Shakespeare ist verschwunden. Von Julia existiert nur eine kurze Bemerkung zu ihrem Geburts- und Todesjahr im Internet, und ich werde lediglich einmal knapp in einem Online-Reiseführer erwähnt. Dort steht, ich sei bei einem Kirchenbrand ums Leben gekommen.«
Die Botschafterin scheint nicht besonders überrascht zu sein, weder von meinem abrupten Themenwechsel noch von meiner Enthüllung. »Wir befinden uns in einer anderen Realität, Romeo, vieles ist hier und jetzt anders.«
Obwohl ich mit einer ähnlichen Antwort gerechnet habe, finde ich sie unangebracht, sie genügt mir nicht. »Benjamin Luna hat sich verändert. Ich habe ihn heute gesehen. Er ist nicht derselbe.«
»Wie ich schon sagte, unsere Entscheidungen lassen viele verschiedene Realitäten entstehen.«
»Er sieht aus wie mein Cousin Benvolio Montague. Er gleicht ihm aufs Haar.«
Sie zögert. »Kannst du dich
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