Romeo für immer, Band 02
kalte Hand und wärmt sie in seiner. »Sei einfach nur vorsichtig. Ich verspreche dir, ich werde alles tun, um dich, deine Mutter und alle hier zu schützen. Wir sehen uns gleich im Unterricht.«
»Na gut.« Ich ziehe meine Hand zurück. »Sei vorsichtig. Und ruf mich an, wenn du mich brauchst. Ich habe mein Handy dabei.«
»Am besten fährst du mit dem Auto deiner Mutter zur Schule, wenn es geht. Sonst nimm den Bus. Ich befürchte, es ist zu gefährlich, wenn du zu Fuß gehst.« Er schwingt sich über den Fenstersims und kommt mit einem leisen Ächzen am Boden auf. Ich sehe ihm nach, während er über den Rasen geht. Er dreht sich noch einmal zu mir um, und mein Herz macht einen kleinen Hüpfer. Ich bin froh, dass es ihm schwerfällt wegzugehen. »Ariel?«
»Ja?«
»Ich … ich liebe dich.«
»Ich dich auch.« Wir sehen uns in die Augen. In diesem Moment gibt es nur Romeo und mich im goldenen Sonnenlicht. Dann dreht er sich um und geht. Ich sehe ihm nach, bis er über den Zaun geklettert ist, und versuche, gegen das traurige Gefühl anzukämpfen, dass alles Schöne in meinem Leben soeben hinter diesen grauen Brettern verschwunden ist.
Plötzlich erscheint mir mein Zimmer – und überhaupt die ganze Welt – viel schäbiger als zuvor. Ich zerre kurz an den Laken, um das Bett zu richten. Dann ziehe ich meine Jeans wieder aus und werfe sie in den Wäschekorb. Irgendwie muss ich die Stunde bis zum Unterricht totschlagen. Also kann ich genauso gut duschen und mich hübsch machen. Ich nehme eine saubere Jeans aus dem Schrank und den engen roten Pulli mit dem tiefen V-Ausschnitt, den ich bisher nie getragen habe, weil er mir viel zu gewagt war. Dann gehe ich ins Bad, dusche, ziehe mich an, föhne meine Haare und nehme mir sogar die Zeit, Make-up aufzutragen, obwohl ich weiß, dass Romeo keinen Wert darauf legt. Immer noch bleiben mir zwanzig Minuten, bis ich aus dem Haus muss. Ruhelos gehe ich in meinem Zimmer auf und ab und überlege, wie ich die Zeit verbringen kann, ohne wahnsinnig zu werden. Ich befürchte, wenn ich stehen bleibe, ertrinke ich in meiner Flut von Sorgen.
Was wird aus mir, wenn ich Romeo nie wiedersehe? Ich hätte ihn nicht alleine weglassen dürfen! Wie soll ich Gemmas Sachen aus ihrem Zimmer holen, wenn ich mit niemandem reden darf? Wie kann ich die Menschen, die ich liebe, schützen? Und wie Romeo und mich? Was soll ich nur tun?
Ich kann nicht mehr ohne ihn sein. Ich glaube, dann würde ich sterben. Allein der Gedanke, auch nur einen Tag ohne ihn verbringen zu müssen, verursacht mir Übelkeit. Wie soll ich ein Leben ohne ihn überstehen? Trotzdem muss ich etwas essen. Vielleicht Pfannkuchen oder Crêpes? Nichts aus der Tüte, sondern etwas, was Zeit und Konzentration erfordert. Dann denke ich nicht so viel über die Fragen nach, die mich quälen.
Ich mache mich auf den Weg zur Küche und überlege, welche Zutaten ich für Crêpes benötige. Hoffentlich haben wir noch Eier im Kühlschrank. An der Türschwelle zur Küche nehme ich aus den Augenwinkeln etwas Grünes wahr. Ich stolpere über meine Füße und hätte beinahe laut aufgeschrien.
Gemma sitzt am Küchentisch und hebt besänftigend die Hand. »Jetzt flipp nicht gleich aus. Ich habe dringend einen anständigen Kaffee gebraucht, der im Motel ist ungenießbar. Weil ich euer Schlüsselversteck kenne und Angst hatte, erkannt zu werden, wenn ich woanders einen Kaffee trinke, habe ich mich einfach ins Haus geschlichen. Ich wollte dir gerade Bescheid sagen, aber du standst noch unter der Dusche.«
Erschrocken fasse ich mir ans Herz und starre Gemma an. Sie sieht aus wie immer, auch wenn sie sich diesmal nicht so viel Mühe mit ihrem Aussehen gegeben hat. In dem grünen Sweatshirt und den eingerissenen Jeans, ungekämmt und – bis auf den verschmierten Eyeliner – völlig ungeschminkt, wirkt sie lässiger als sonst. Aber das heißt ja nichts. Auch wenn sie aussieht wie Gemma, könnte sich in ihr der Feind verbergen. Ich kann gar nicht vorsichtig genug sein.
»Was machst du hier?« Angespannt bleibe ich im Türrahmen stehen.
»Wow!« Gemma blinzelt übertrieben erstaunt. »Vielen Dank für die nette Begrüßung, Ree. Ich bin selten so herzlich empfangen worden.« Sie schiebt den Stuhl zurück. »Soll ich lieber wieder gehen?«
»Nein, natürlich nicht.« Ich versuche mich so normal wie möglich zu verhalten. Wenn es wirklich Gemma ist, möchte ich sie nicht kränken. »Es tut mir leid. Du hast mich erschreckt. Ich dachte, wir treffen uns
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