Romeo für immer, Band 02
aufwachen und kapieren würdest, wie cool du in Wirklichkeit bist. Aber mit Dylan kannst du unmöglich klarkommen. Der Typ ist komplett irre.«
»Na ja, das bin ich doch auch. Und du auch.« Ich lache gezwungen. »Ist nicht jeder irgendwie verrückt?«
»Nicht so wie er, Ariel. Er ist böse.«
»Nein, das ist er nicht.«
»Er ist ein zwanghafter Lügner. Er lügt so geschickt, dass er jeden hinters Licht führt.« Gemma stützt die Ellbogen auf den Tisch und sieht mich eindringlich an. Plötzlich scheint mir jeder Widerspruch unangebracht zu sein. »Man glaubt ihm einfach alles. Wahrscheinlich glaubt er seine Lügen sogar selbst, bis ihm irgendwann wieder einfällt, dass alles nur Show ist. Dann verwandelt er sich wieder in denselben widerlichen Typen wie vorher, nur schlimmer, weil er dann nämlich weiß, dass man ihm auf den Leim gegangen ist.«
Ich verschränke meine Finger um den Kaffebecher. Ich werde nicht zulassen, dass Gemma in mir Zweifel an Romeo weckt. Aber ich muss zugeben, dass ich beunruhigt bin. Sehr sogar. »Seit wann weißt du so gut über Dylan Bescheid? Ich denke, du kannst ihn nicht ausstehen?«
»Kann ich auch nicht. Hast du dich nie gefragt, wieso nicht?«
Ich schüttle den Kopf. »Ich dachte … Ich weiß, dass du seine Band schrecklich findest.«
»Oh Mann! Ich rede doch nicht von solchem Kinderkram.« Gemma lacht bitter und verzieht dann das Gesicht zu einer »Ich sage es ja nur ungern«-Miene. »Du weißt doch, dass ich eine Zeit lang regelmäßig in Santa Barbara war, in diesem Club, in den man ohne Ausweis reinkommt?«
»Ja.«
»Ich war nicht alleine da. Eines Abends, ich hatte schon ein bisschen was getrunken, tauchte Dylan auf und setzte sich neben mich.« Sie starrt auf ihre Finger und zupft an ihrer Nagelhaut. Mir fällt auf, wie rau ihre Hände sind.
Ich kenne Gemma nur mit perfekt manikürten Fingernägeln. Jeden Sonntagnachmittag kommt eine Kosmetikerin zu den Sloops, um Gemma und ihrer Mutter die Nägel zu machen. Anschließend erhalten beide noch eine kosmetische Gesichtsbehandlung. Dass sie raue Hände hat, macht sie irgendwie verletzlicher und gibt mir ein Gefühl von Nähe. Gleichzeitig macht es mir Angst. Gemma redet nicht gern über Gefühle. Sie lässt einen nur hinter ihre Fassade blicken, wenn es gar nicht anders geht. Dass sie es ausgerechnet jetzt tut, verursacht mir eine Gänsehaut.
»Ich dachte, er wollte, dass ich ihm ein Bier ausgebe.« Sie bläst die Backen auf und lässt langsam die Luft entweichen. »Stattdessen hat er mich zu einem Bier eingeladen, und wir haben uns unterhalten. Er war plötzlich so anders. Irgendwie netter. Man konnte richtig gut mit ihm reden. Er war echt süß.« Sie schüttelt den Kopf, starrt aber immer noch auf ihre Finger. Sie kann mir nicht in die Augen sehen. Das macht mir Angst.
Ein netter, süßer Dylan, mit dem man gut reden kann.
Plötzlich habe ich einen dicken Kloß im Hals. Ich zwinge mich, möglichst gelassen noch einen Schluck Kaffee zu trinken. Gestern, als die Schreie kamen, habe ich Romeos Seele in mir gespürt. Er weiß von den verlorenen Seelen und dem Mann, der durch meine Träume geistert. Und ich weiß einfach, dass seine Geschichte nicht erfunden ist. Dazu ist sie viel zu kompliziert. So was könnte Dylan Stroud sich nie im Leben ausdenken.
»Ich habe ihm Dinge erzählt, über die ich noch mit keinem geredet habe. Auch mit dir nicht«, fährt Gemma fort. »Und er hat mir von sich erzählt. Von seinem Vater und einem Mann, mit dem sein Vater befreundet ist. Dieser Mann hat … er hat Dylan Schlimmes angetan, er hat ihn angefasst und so. Du weißt schon. Als Dylan noch klein war.«
Sie verschränkt die Finger und ballt sie zur Faust. Ein winziger roter Tropfen quillt neben dem Nagel ihres Zeigefingers hervor, an der Stelle, wo sie sich die Haut eingerissen hat. Ich beobachte, wie der rote Tropfen dicker wird, und versuche, nicht zu denken.
Mir würden sonst gefährliche Gedanken kommen.
20
Ariel
I ch habe es dir nie erzählt … « Sie hebt den Kopf und sieht mich an, aber es fällt ihr offensichtlich schwer. Wahrscheinlich fühlt Gemma sich jetzt ebenso nackt und ausgeliefert wie ich, als ich Dylan von den Stimmen in meinem Kopf erzählt habe. Ich würde gern meine Hand nach ihr austrecken, aber sie möchte nicht angefasst werden, das zeigt ihre Körpersprache ziemlich eindeutig.
Sie atmet zitternd ein. »Als ich im ersten Schuljahr war, haben meine Eltern wie jedes Jahr nach der Weinlese eine große
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