Romeo für immer, Band 02
würden wir weniger Ärger bekommen, wenn ich seine Hand nicht halte. Dylan stellt sich vor mich. »Bitte entschuldigen Sie. Das wussten wir nicht.«
»Auf dem Schild an der Tür steht groß und deutlich ›Eintritt verboten‹.« Der Mann runzelt die Stirn und betritt den Saal. »Wieso seid ihr nicht in der Schule?«
»Weil wir aufs College gehen?« Zu Tode erschrocken angesichts der Vorstellung, dass wir beim Schulschwänzen erwischt werden, habe ich meine Lüge als Frage formuliert.
Der Mann schnaubt ungläubig. »Ihr seht aus, als wärt ihr gerade mal zwölf.«
»Wir sind im ersten Semester«, sagt Dylan. Er lügt geschickter als ich. »Kunstgeschichte Leistungskurs. Deshalb wollten wir unbedingt diese Ausstellung sehen.«
»Dann gehört ihr zur Klasse von Professor King?«
»Richtig.« Dylan nickt. »Der Professor ist ein glühender Verehrer von Schiele.«
Der Mann lächelt. Es ist das selbstgefällige, herablassende Lächeln eines alten Mannes und gibt mir das Gefühl, wieder drei zu sein. »Einen Professor King gibt es nicht. Ich rufe sofort eure Eltern an.«
Mir dreht sich der Magen um, und ich glaube Dylan leise fluchen zu hören, aber ich bin mir nicht sicher, denn mein Herz schlägt viel zu laut. Meine Mutter bringt mich um! Letzte Nacht und heute Morgen war sie ja ziemlich nett. Aber sie wird bestimmt alles andere als nett sein, wenn sie erfährt, dass ich sie angelogen und mich krank gestellt habe, um die Schule zu schwänzen und nach Santa Barbara zu fahren.
Ich bin erledigt.
Der Mann winkt uns zur Tür. »Ihr kommt jetzt mit in mein Büro. Wir rufen eure Eltern an und … «
»Lauf!« Dylan packt meinen Arm und zerrt mich in die andere Richtung. Ich stolpere, aber er hält mich, bis ich das Gleichgewicht wiedergefunden habe. Ich zögere keine Sekunde länger und renne los. Ich halte mit ihm Schritt, als er auf den Notausgang an der gegenüberliegenden Seite des Saales zurast.
»Bleib stehen!«, brüllt der Mann im Anzug. Aber wir rennen weiter, um einen Glaskasten herum, in dem eine Skulptur ausgestellt ist, die ich mir gerne näher angesehen hätte. Ich wusste nicht, dass Schiele auch Bildhauer war. Hinter uns höre ich die Schuhe des Mannes über das Parkett knallen. Einen Augenblick frage ich mich, was wohl geschieht, wenn er uns einholt, aber da stürzt Dylan auch schon zur Tür und drückt gegen den rot-weiß gestreiften Türgriff.
Eine Alarmsirene heult los, aber ich zögere keinen Moment. Was schert mich die Alarmsirene? Man hat uns ja schon erwischt. Noch schlimmeren Ärger können wir nicht mehr bekommen, und vielleicht gelingt es uns ja zu entwischen. Irgendwohin muss die Treppe schließlich führen.
Dylan umfasst das schwarze Geländer und schwingt sich auf den ersten Treppenabsatz. Er schaut kurz über seine Schulter, ob ich noch hinter ihm bin, und springt dann die Stufen hinunter. Seine Schritte hämmern durchs Treppenhaus. Ich bin dicht hinter ihm, meine Füße fliegen wie von selbst über die Stufen. In meinem Adrenalinrausch denke ich nicht eine Sekunde über meine Schritte nach. Ich werde richtig euphorisch bei dem Gedanken, dass wir tatsächlich entkommen könnten. In dieser Hochstimmung könnte ich ewig weiterlaufen, immer weiter und schneller.
Ich hole Dylan auf dem zweiten Absatz ein. Er lacht, als ich ihn überhole, und ich kichere wie eine Verrückte, während ich über den Gang mit den glänzenden Wandfliesen auf eine gläserne Flügeltür zulaufe. Draußen, auf der anderen Seite der Tür, erwarten uns strahlender Sonnenschein und eine grüne Wiese.
Aus der Ferne höre ich schwach den Mann im Anzug rufen, doch seine Stimme ist weit weg und wir sind schon fast, beinahe …
»Frei!«, brülle ich und renne in den Sonnenschein hinaus. Wieder muss ich lachen und drehe mich zu Dylan um, der gerade hinter mir durch die Tür ins Freie stürzt. Er packt mich um die Taille, schwingt mich im Kreis und drückt mir einen atemlosen Kuss auf die Wange. Ich schwebe noch wie auf Wolken, als meine Füße schon längst wieder auf dem Boden stehen.
»Komm, schnell!« Er zerrt mich zur Straße. »Ehe er uns jemanden auf den Hals hetzt, der besser in Form ist als er.«
Ich halte seine Hand fest und laufe neben ihm her. Sein Kuss brennt auf meiner Haut, mir ist heiß. Zum ersten Mal laufe ich nicht alleine durchs Leben.
9
Romeo
U nd eine Cola bitte«, sage ich zu dem Mann in der Strandbar.
Er reicht mir das Getränk und je zwei Fisch-Tortillas mit einer Extraportion Salsa, und
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