Romeo für immer, Band 02
geduldet und mich nicht abgeworfen.« Ich schweige eine Weile, bevor ich scherzhaft hinzufüge: »Das hatten mein Vater und das Pony gemeinsam.«
»Dann lief es wohl nach dem Tod deines Bruders nicht besonders mit deinem Vater?«, fragt sie.
Ich nicke. »Er hasste mich. Weil ich lebte und Nicolo tot war.« Ich atme tief durch. Ich wünschte, ich könnte ihr mehr erzählen. Ich wünschte, ich könnte ihr erzählen, wie herzlos mein Vater nach Nicolos Tod zu meiner Mutter war. Es wirkte so, als habe er ihr die Schuld an seinem Tod gegeben. Ich wünschte, ich könnte ihr erzählen, dass meine Mutter nach zehn langen Jahren seiner Herzlosigkeit nur noch ein Schatten ihrer selbst war. Und dass sie an dem Tag starb, an dem man mich ich aus der Stadt verbannt hatte. Und dass mein Vater mir anschließend auch an ihrem Tod die Schuld gab.
Aber das geht nicht. Es gibt einfach zu viele Details in meiner Geschichte, die mit Dylan Strouds Leben nicht übereinstimmen. Und dann gibt es noch die Wahrheiten, die viel zu schmerzhaft sind, um ausgesprochen zu werden.
Wir schweigen beide und beobachten das Meer und die Möwen, die im salzigen Wind auf und ab segeln. »Es tut mir leid«, flüstert sie nach einer Weile.
»Du denkst also nicht, dass ich verrückt bin und mir das nur einbilde? Dass mein Vater sich gar nicht wünscht, ich wäre anstelle meines Bruders gestorben?«
»Es wäre schon möglich, dass du dir das nur einbildest«, antwortet sie und stellt ihre Tortilla-Schachtel ab, ihre zweite Tortilla hat sie nicht angerührt. Unser Spiel hat auch mir den Appetit verdorben. Ich werfe den Rest meiner Tortilla in die Schachtel zurück. »Mir war zum Beispiel überhaupt nicht klar, wie lieb meine Mutter mich hat. Deshalb würde ich gerne glauben, dass … aber … also, na ja, ich habe schon so einiges über deinen Vater gehört.«
Dylans Vater ist ein Trinker, der schnell und gerne zuschlägt. Trotzdem würde ich ihn meinem eigenen Vater jederzeit vorziehen, denn Dylan erinnert sich an einige schöne Dinge. An Vater-Sohn-Ausflüge zum Strand, als er noch klein war. An gemeinsame Biere auf der Couch, während sie sich im Fernsehen Eishockey angesehen haben. An das Auto, das sein Vater ihm zum sechzehnten Geburtstag geschenkt hat. Und er hat Dylan seine Freiheit gelassen.
Mein eigener Vater war sehr grausam.
Er unterrichtete mich im Schwertkampf und hätte mich dabei fast mit seinem Schwert erstochen. Ich habe neben meinem Vater nur überleben können, weil ich lernte, blitzschnell und geistesgegenwärtig zu lügen und ihm das zu erzählen, was er hören wollte. Nur so konnte ich vermeiden, zur Strafe tagelang ohne Essen und Trinken in meinem Zimmer eingesperrt zu werden. Denn er verbot sowohl meiner Mutter als auch der Dienerschaft den Zutritt zu meinem Zimmer. Durch ihn lernte ich die Hölle auf Erden kennen. Für mich war der Teufel ein Mann mit einem buschigen braunen Bart, der sich an meinem Schmerz weidete.
Ich habe Julia sehr geliebt, aber ich muss zugeben, dass ich mich auch deshalb zu ihr hingezogen fühlte, weil ihr Vater der Todfeind meines Vaters war. Meine Heirat mit einer Capulet hätte meinen Vater in den Wahnsinn getrieben. Julia und ich haben uns oft vorgestellt, dass ihre kalte Mutter und mein grausamer Vater vor Schreck tot umfallen würden, wenn sie herausfänden, was wir getan hatten. Wir haben fantasiert, um wie viel einfacher das Leben wäre, wenn sie nur noch ihren Vater hätte. Und wie schnell meine Mutter sich von ihrem Schmerz erholen würde, wenn ich erst das neue Oberhaupt des Hauses Montague wäre. Hätte ich nicht Julias Cousin getötet, dann wären unsere Träume vielleicht eines Tages wahr geworden.
Stattdessen habe ich sie verraten, und meine Taten waren nicht weniger ungeheuerlich als die meines Erzeugers.
»Es tut mir leid, was ich über deinen Vater gesagt habe«, entschuldigt sich Ariel, und ich merke, dass ich zu lange geschwiegen habe. »Bist du jetzt sauer?«
»Natürlich nicht«, antworte ich achselzuckend. »So was spricht sich in einer Kleinstadt schnell herum.«
»Ja. Allerdings.« Sie rutscht näher heran und drückt mir einen Kuss auf die Wange. »Wenn es dir zu Hause einmal zu viel wird, kannst du zu mir kommen. Jederzeit. Ich bin immer für dich da«, flüstert sie.
Mir schießen die Tränen in die Augen, ich komme nicht dagegen an. Sie wollte nur nett sein, doch mir bedeutet es mehr als das. Es ist, als würde ich vom Kalten ins Warme kommen, und es beweist, dass Ariel
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