Romeo für immer, Band 02
doch Dylan kommt mir zuvor. Er steht vom Sofa auf und geht mit ausgestreckter Hand auf meine Mutter zu. »Hallo, Mrs Dragland«, begrüßt er sie. »Ich bin Dylan. Ariel und ich waren gestern Abend zusammen aus. Bitte entschuldigen Sie, dass ich mich Ihnen noch nicht vorgestellt habe.«
Sie ergreift seine Hand, macht dabei aber keinen besonders erfreuten Eindruck und beendet das Händeschütteln schneller, als es die Höflichkeit eigentlich gebietet. »Ich weiß, wer du bist, Dylan. Du bist der Junge, der meine Tochter erst betrunken gemacht und dann nicht nach Hause begleitet hat.«
»Ja, das stimmt. Ich … ich habe es wohl vermasselt.« Er lässt betrübt den Kopf hängen. »Aber ich habe mir große Sorgen gemacht, weil Ariel nicht in der Schule war. Deshalb bin ich nach dem Unterricht vorbeigekommen, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist. Außerdem wollte ich sie um Verzeihung bitten.«
»Es sieht ganz so aus, als hätte sie dir verziehen.« Mom sieht mich stirnrunzelnd an. Ich stehe wie erstarrt vor dem Sofa und kann meine Beine nicht bewegen. Sie zittern viel zu sehr.
»Ich musste ziemlich lange vor ihr auf dem Boden kriechen, aber es hat sich gelohnt«, sagt er. »Und Ihr Küchenboden ist jetzt wieder blitzsauber, also … «
Er lächelt, aber Mom findet den Küchenboden-Witz nicht komisch. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und gehe auf sie zu. »Es ist meine Schuld«, erkläre ich. »Ich habe mich so einsam gefühlt, weil ich den ganzen Tag alleine zu Hause war, deshalb habe ich Dylan hereingebeten. Wir haben uns gemeinsam Carrie angeschaut. Dabei müssen wir wohl eingeschlafen sein.«
»Dann musst du wohl gerade im Schlaf gesprochen haben«, bemerkt sie sarkastisch. Zumindest weiß ich jetzt, woher ich meinen Hang zum Sarkasmus habe.
Beschämt sehe ich zu Boden und grabe schweigend meine Zehen in den Teppich. Wenn ich wenigstens Schuhe an den Füßen hätte, dann würde ich mich weniger verwundbar fühlen. Ein Pulli und eine Rüstung mit einem Mütterblicke abwehrenden Schutzschild wären auch nicht schlecht.
»Wir sind eben erst aufgewacht«, springt Dylan für mich in die Bresche. »Wir haben nichts Schlimmes verbrochen, wirklich nicht.«
»Möglicherweise unterscheidet sich deine Definition von ›schlimm‹ etwas von meiner, Dylan. Wenn du jetzt bitte gehen würdest.«
»Natürlich.« Der Schmerz in seiner Stimme weckt in mir das Verlangen, meine Mutter zu erwürgen. Warum tut sie das? Warum ist sie so gemein zu dem Jungen, der es bisher als Einziger gewagt hat, einen Fuß in unser Haus zu setzen?
»Darf ich Ariel morgen früh zur Schule abholen?«
» Ich werde sie zur Schule fahren.« Mom wirft mir einen strengen Blick zu. »Natürlich nur, wenn sie bis dahin wieder gesund ist.«
»Tja, also dann.« Dylan macht einen Schritt Richtung Haustür, doch dann dreht er sich seufzend wieder zu Mom um. »Ich weiß, dass Sie verärgert sind, Mrs Dragland. Wahrscheinlich haben Sie gehört, wie wir herumgealbert haben, und das war bestimmt nichts, was eine Mutter gerne hört. Aber mir liegt wirklich sehr viel an Ariel.«
»Das glaube ich dir gerne.« Der herablassende Tonfall meiner Mutter lässt mich zusammenzucken.
Wenn sie ihn weiterhin wie ein kleines Kind behandelt, sterbe ich. Oder ich werde so wütend, dass ich wieder einen Schub bekomme. Das könnte ich nicht ertragen, nicht an zwei Abenden hintereinander. Noch dazu, nachdem wir so einen traumhaften Tag miteinander verbracht haben. Ich habe heute Dinge erlebt, von denen ich niemals zu träumen gewagt hätte. Obwohl Dylan von den Schreien weiß und allem, was damit verbunden ist, hat er mich geküsst und umarmt. Er findet mich nicht sonderbar und behandelt mich auch nicht wie einen Freak, sondern wie ein stinknormales Mädchen. Mit ihm zusammen könnte ich vielleicht wirklich normal werden.
Aber nur, wenn meine Mutter vorher nicht alles kaputt macht.
Anstatt vor ihr zurückzuweichen, geht Dylan auf sie zu. »Ich bedaure mein Verhalten und unseren schlechten Start sehr, Mrs Dragland. Bitte geben Sie mir eine Chance, es wiedergutzumachen und Ihnen zu beweisen, dass ich gut genug für Ihre Tochter bin. Ich verspreche Ihnen, ich werde sie niemals verletzen.«
Wieder runzelt Mom die Stirn, sagt aber nichts. Keine Ahnung, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist. Eigentlich ist sie sehr schlagfertig. Vielleicht denkt sie ja über Dylans Worte nach. Möglicherweise überlegt sie aber auch gerade, wie lange es dauert, die Waffe meines
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