Romeo für immer, Band 02
Kind. Ich bin hier und werde bei dir bleiben, bis wir dich aus deinem Elend befreit haben.« Er sagt die richtigen Worte, doch ich bemerke seinen vorsichtigen Tonfall. Er ahnt, dass etwas nicht stimmt, das fühle ich.
Obwohl ich keine Botschafterin mehr bin, habe ich nach wie vor Übersinnliches in mir. Ich ziehe die Knie enger an mich heran und stelle mir vor, ich sei umgeben von einer Nussschale, die hart genug ist, mich und mein Geheimnis zu schützen.
»Bitte!«, wimmere ich verzweifelt und bemühe mich, nur das zu denken, was ich gedacht habe, als ich das erste Mal hier lag. Ich habe große Angst, dass meine Stimme mich verrät und er mein falsches Spiel durchschaut. »Hilf mir heraus. Bitte.«
»Das kann ich nicht. Dazu fehlt mir die Kraft. Aber Romeo wird mir helfen. Er muss bald hier sein. Es sei denn … «
»Es sei denn was?«, schluchze ich, mein Herz rast. Das ist es! Was immer er als Nächstes sagt, wird mir helfen, den erneuten Tod in diesem Grab zu vermeiden.
»Hast du noch einmal mit ihm gesprochen, Julia? Nachdem ich dir den Schlaftrunk gegeben habe?«
»Nein«, antworte ich ohne Zögern. Das ist die Wahrheit. Nach meiner letzten Beichte bei Bruder Lorenzo habe ich mit niemandem mehr gesprochen. Ich habe das blaue Kleid angezogen, das ich an dem Tag getragen habe, als Romeo und ich getraut wurden, habe ein letztes Gebet gesprochen und dann das Gift genommen.
Der Mönch ächzt. Ist es ein Schreckenslaut? Oder ein Laut der Bestürzung?
»Ich habe mit niemandem gesprochen. Das schwöre ich. Was ist denn geschehen? Ist er wohlauf?«, frage ich. Auch wenn ich diejenige bin, die hier lebendig begraben liegt, wäre Romeos Wohlergehen meine einzige Sorge, das weiß ich nur zu gut.
Er schweigt. Schließlich antwortet er. »Ich weiß es nicht. Wir wollten uns bei Tagesanbruch auf der Straße vor den Toren Veronas treffen. Aber er war nicht da.«
»Was?« Der Mönch lügt doch. Oder etwa nicht?
»Ich habe stundenlang auf ihn gewartet«, sagt er. »Aber Romeo ist nicht gekommen. Ich habe in der Schenke nachgefragt und auf dem Platz, wo er und seine Freunde meist anzutreffen sind. Doch niemand hatte Nachricht von ihm. Dann habe ich einen zweiten Boten zu seinem Versteck geschickt, mit der Botschaft, sofort zur Gruft der Capulets zu kommen. Das war vor Stunden, und … Ich fürchte, dem Jungen ist etwas zugestoßen.«
»Oh nein. Nein!«, schluchze ich. Es gibt sehr vieles, das ich zu beweinen habe. So fällt es mir nicht schwer, erneut in Tränen auszubrechen, obwohl es mir egal ist, dass Romeo den Mönch im Stich gelassen hat.
Wenn Romeo in dieser neuen Variante der Vergangenheit zur Vernunft gekommen ist und den Söldnern entkommen konnte, wäre es für alle das Beste. Für alle, außer für mich. Aber ich werde schon noch einen Ausweg finden. Ich muss. Denn auch wenn Romeo verschwunden ist und der Mönch niemanden an Romeos Stelle zum Söldnertum bekehren konnte, wird er mich nicht befreien. Er wird mich hier sterben lassen. Und sei es nur zu seinem eigenen Vergnügen.
»Es tut mir leid, mein Kind. Doch es gibt vielleicht einen Hoffnungsschimmer.«
»Nein, es gibt keine Hoffnung mehr«, antworte ich verbittert. Mein Vorhaben ist keineswegs wohlüberlegt, doch mir bleibt keine Zeit, gut durchdachte Pläne zu schmieden. »Er hat mich verlassen. Er bereut unsere Heirat. Das hat er mir an dem Morgen gestanden, nachdem … dem Morgen, als wir … « Ich spreche nicht weiter und schluchze unbeherrscht. Mein Körper hat kaum genug Wasser für Tränen, doch das hindert mich nicht. Ich weine so herzzerreißend wie eine Liebende, die aufs Schändlichste verraten und betrogen wurde. Ich weine, als hätte Romeo mir das Herz herausgerissen und in den Straßengraben geworfen.
»Scht, scht, bleib ruhig, meine Tochter. Ich bin sicher, du irrst dich. Romeo liebt dich. Er liebt dich von ganzem Herzen.«
»Nein, das tut er nicht«, widerspreche ich. »Er hat mir gestanden, dass er noch nicht bereit ist für die Ehe. Ich dachte, er käme zur Vernunft, wenn er erfährt, dass ich bereit bin, für unseren Schwur zu sterben, aber … «
»Ist das wahr, Julia?«
»Ja, es ist wahr!«, schluchze ich verzweifelt. »Und ich wünschte, ich könnte ihn dafür umbringen!«
Abermals breche ich in Tränen aus, doch diesmal leiser. Ich möchte hören, ob der Mönch den Köder schluckt. Er hat sich so sehr bemüht, Romeo für seine Zwecke zu gewinnen, weil er glaubte, von uns beiden wäre Romeo derjenige, der leichter zu einem
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