Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
vorgeschriebene Strafe», erwiderte der.
«Hast du etwa Lust, morgen so weit zu reiten? Willst du hier mitten im Nirgendwo noch mehr Zeit vergeuden? Also, ich nicht.»
Der Laternenträger gab ein nachdenkliches «Hm» von sich.
Obwohl Bennosukes Leben am seidenen Faden hing und man nur noch darüber debattierte, ob man den Weg der Gewissenhaftigkeit oder den der Bequemlichkeit wählen sollte, besaß er weder die Kraft noch die Geistesgegenwart, etwas zu unternehmen. Er konnte weiter nichts tun, als dort zu liegen und dem Reiter beim Nachdenken zuzusehen. Die Miene des Mannes war kalt, und eine Narbe zog sich von unterhalb der Nase quer über die Lippen zum Kinn.
«Schwerter», sagte irgendwo hinter ihnen einer der anderen Männer. Das riss den Reiter aus seinen Gedanken, und sie sahen zu der Stelle, wohin Bennosukes Waffen gefallen waren. Der Kniende fluchte leise.
«Die hat er doch wahrscheinlich auch gestohlen», sagte er. «Schaut ihn euch an – das ist weiter nichts als ein beschissener Bauer. Bringen wir’s hinter uns.»
«Bist du ein Samurai?», fragte der Reiter mit der Narbe, den Knienden ignorierend.
«Ja», spie Bennosuke. So geschwächt und verdreckt er auch war: Das zu bestreiten konnte er sich nicht gestatten.
Der kniende Samurai grunzte angewidert, nahm sein Schwert von der Kehle des Jungen und erhob sich.
«Na großartig», sagte er und starrte zornig auf ihn hinab. «Jetzt
müssen
wir dich kreuzigen lassen.»
Sie fesselten Bennosuke mit einem kräftigen Seil mittels einer Technik, die im Laufe von Jahrhunderten perfektioniert und ritualisiert worden war. Das Seil nahm ihm auch noch die kleinste Bewegungsfreiheit, schlang sich kreuz und quer über seinen Oberkörper, schnürte seine Arme an den Leib und seine Beine an den Knien zusammen. Dann warfen sie ihn wie einen Sack Reis auf eines ihrer Pferde und ritten in langsamem Galopp zum Wirtshaus zurück. Dort hängten sie ihn an einem Dachvorsprung auf, sodass er mit dem Gesicht nach unten über jener Straße baumelte, auf der er sich keine Stunde zuvor angeschlichen hatte.
Der Junge hatte geglaubt, es wäre leicht, ein Pferd zu stehlen. Die Ortschaft war so klein, dass es dort keine Stadtwache gab. Die fünf Samurai waren lediglich hier, um in der Umgebung Steuern einzutreiben. Er hatte sie zwei Tage lang beobachtet, bevor er zur Tat geschritten war. Zwar fand das Reitertreffen erst in zwei Wochen statt, aber er musste sich erst wieder damit vertraut machen, ein Pferd zu reiten. Sein jämmerlicher Fluchtversuch zeigte das ja zur Genüge.
Eigentlich hätte Bennosuke Angst haben sollen, aber wenn er ehrlich war, war es die angenehmste Nacht seit langem. Er war so geschickt gefesselt, dass das Seil nirgendwo drückte oder einschnitt. Es war, als schwebte er. Sacht schaukelte er hin und her wie ein Kleinkind in der Wiege. Verglichen mit den Nächten der vergangenen Monate, in denen er stundenlang auf hartem Erdboden vor sich hin gebibbert hatte, erschien ihm seine Lage geradezu luxuriös.
Es war ein elendes Leben, das er führte. Nachdem er Miyamoto verlassen hatte, hatte er sich auf direktem Weg ins Gebiet der Nakata begeben, sich gewiss, dass irgendein Gott das Blatt zu seinen Gunsten wenden und ihm Hayato sogleich ans Messer liefern würde. Doch obwohl er einen Monat lang in der Hauptstadt des Nakata-Reichs ausgeharrt hatte, karg von den wenigen Münzen lebend, die er in Munisais Haus gefunden hatte, blieb Hayato fast die ganze Zeit in seiner Festung. Er hätte sich genauso gut auch im Himmel befinden können, so unmöglich war es Bennosuke, ihm nahe zu kommen.
Nur ein einziges Mal erblickte er einen Herzschlag lang den jungen Fürsten, durch die Bambusblende einer Sänfte, umgeben von Dutzenden Leibwächtern. Er reiste irgendwohin. Es war selbstverständlich eine große Parade, und der Junge verbarg sich in der Menge der Menschen, die ihrem Herrn auf Knien huldigten. Blindlings auf ihn loszustürmen hätte nichts gebracht, doch selbst wenn er Pfeil und Bogen besessen hätte, wäre er nicht sicher gewesen, dass er ihn hätte treffen können. Beides hätte er nur mit seinem Tod bezahlt, wohingegen Hayato weitergelebt hätte.
Bennosukes Geld ging zur Neige, seine Zuversicht geriet ins Wanken, und an ihre Stelle trat die ständige Furcht, er würde irgendwann, während er obdachlos durch die Straßen lief, von einem Gefolgsmann der Nakata erkannt werden. Er floh hinaus aufs Land des angrenzenden Reichs, das einem Fürsten Shingo
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