Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
Bauern bis zum Adligen, kommt einmal die Zeit, da er sich für das Wohl des Clans einzusetzen hat. Landauf, landab werden Männer Eure Tapferkeit rühmen, und unserem Herrn Fürst Ukita wird aufgehen, dass die Nakata über mehr als nur über Geldmittel verfügen.»
«Oh», sagte Fürst Nakata, und seine greisen Hängewangen gerieten förmlich ins Glühen. «Das ist eine ganz wunderbare Idee! Und so überaus ritterlich!»
«Vater!», protestierte Hayato lauter als beabsichtigt, dann nahm er sich wieder zusammen, ehe er weitersprach. «Ich kann das nicht. Lasst einen unserer Offiziere in meinem Namen reiten oder …»
«Das ginge gänzlich am Ziel vorbei. Was wäre daran bemerkenswert, dass Eure Männer Euch dienen? Das ist schließlich ihre Pflicht», entgegnete Shinmen. «Nein, reitet Ihr.»
Shinmen sprach diese letzten Worte ganz ruhig aus, Kazuteru aber hatte genug Zeit in der Gegenwart seines Herrn verbracht, um den Unterton herauszuhören. Es steckte mehr als nur eine Aufforderung oder eine Bitte darin – auf subtile Weise schwang Wut und Rachgier in den Worten mit, und keiner der beiden Nakata bemerkte es.
Einige Monate zuvor hatte Shinmen ihn abends in seine Privatgemächer rufen lassen, was selten vorkam. Als Kazuteru eingetreten war, saß der Fürst vor einem kaum angerührten Mahl und einer noch bis obenhin gefüllten Flasche Sake. Er hielt ein Exemplar des Seppuku-Drucks in der Hand. Der junge Samurai verneigte sich und kniete in ehrerbietigem Abstand nieder.
«Meinst du, es war grausam?», fragte Shinmen nach längerem Schweigen, ohne den Blick von dem Druck abzuwenden. «Du warst ihm am Ende ja am nächsten.»
«Es war ein Seppuku, Hoheit», erwiderte Kazuteru. «Das ist immer grausam.»
«Ich weiß, aber …», setzte Shinmen an. Er schien nach Worten zu ringen. «Hast du irgendwas an ihm wahrgenommen?»
«Nicht mehr als die anderen Anwesenden auch, Hoheit», erwiderte Kazuteru, der die Frage nicht so ganz verstand. Er wartete ab, ob der Fürst noch etwas sagen würde, doch der wirkte nur zusehends aufgewühlt. Er hielt das Blatt an eine Kerzenflamme und sah zu, wie es Feuer fing.
«Ich bin kein menschliches Wesen. Verstehst du das?», fragte er, während sich die Flamme über das billige Papier vorfraß. «Ich bin ein Clan. In meiner Brust schlägt kein eigenes Herz, sondern ein Herz, das ein Jahrtausend umfasst.»
Er hielt das Blatt, bis die Flamme fast seine Hand berührte, ließ es dann zu Boden fallen und goss Sake darüber. Mit einem Finger stocherte er in den kleinen Ascheklumpen herum, als wollte er daraus weissagen.
«Du glaubst bestimmt, der Wille eines Fürsten sei schrankenlos, aber gegen den Willen eines Äons vermag er gar nichts.» Shinmen sprach in einem traurigen Ton, mit einer Stimme, die durchaus nach einem menschlichen Wesen klang. Dann hatte der Fürst Kazuteru mit einer Handbewegung fortgeschickt.
Kazuteru erinnerte sich, diese Facette des Fürsten, die so im Gegensatz zu dem stand, was er im Alltag darstellte, schon einige Male bemerkt zu haben. Er hatte sich oft gefragt, ob es nur einzelne Gefühlsausbrüche waren oder ob hinter der Maske seines Gesichts wohl ständig etwas anderes vor sich hin brodelte. Auch fiel ihm wieder ein, dass während der seltsamen Verzögerung bei Munisais Seppuku, ehe Shinmen schließlich das Zeichen zur Enthauptung gab, ausgerechnet Hayato neben ihm gesessen hatte.
Hier nun, während sie das Reitertreffen planten, saßen sich die beiden Fürsten gegenüber. Es war unmöglich zu ermessen, was Shinmen wirklich dachte, aber Kazuteru konnte keine verborgenen Absichten und keinen groß angelegten Plan erkennen. Shinmen wurde schlicht und einfach von persönlicher Abneigung getrieben. Hayato die Teilnahme aufzunötigen, war eine Kleinigkeit verglichen mit allem, was man als Rache bezeichnen konnte, aber es war alles, was ihm gegenwärtig zu Gebote stand. Das Clan-Herz hatte sich für die Nakata und gegen Munisai entschieden, und sein persönliches Herz hatte sich dem zu beugen.
«Ich sehe es genauso: Du solltest reiten», schaltete sich der alte Fürst Nakata ein und fuhr, ehe Hayato ihn unterbrechen konnte, fort: «Und du musst dich dabei gar nicht in Gefahr begeben, mein Sohn. Du wirst dabei von meiner Leibgarde umgeben sein.»
«Aber Vater …»
«Zweifelst du etwa an ihrer Fähigkeit, dich zu beschützen?», fragte Nakata. Das war ein kluger Schachzug, denn Hayato konnte sich ja nicht öffentlich schlecht über Männer äußern, die dem
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