Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
Banditen. Wenn sie gerade einen Ausbruch planten …
Bennosuke zögerte. Geriete die Reinheit seiner Mission in Gefahr, wenn er mit diesem Abschaum kollaborierte? Sein Vater hatte gesagt: um jeden Preis – hatte damit aber eher Tod und Selbstaufopferung gemeint. Doch Bennosuke wusste, dass er aus eigener Kraft nicht aus diesem Kerker fliehen konnte. Er hatte die Wahl: Entweder würde er wie ein Verbrecher sterben und Nakata am Leben lassen, oder er würde einen Moment lang wie ein Verbrecher leben und Nakata in den Tod schicken. Eine dieser Optionen brachte Vergeltung, die andere nicht, und daher rutschte der Junge auf den Knien ein Stück auf die Männer zu.
«Bitte bindet mich los», sagte er noch einmal.
«Kümmere dich um dich selbst, Junge», erwiderte einer. «Wir haben mit dir nichts zu schaffen.»
«Bitte!», beharrte Bennosuke, und ein wenig von seiner Verzweiflung war ihm anzuhören. «Sollt ihr auch hingerichtet werden? Wir müssen hier raus. Ich kann euch helfen!»
«Und wie?»
«Ich weiß nicht. Irgendwie.»
«Kannst du Schlösser knacken?»
«Nein.»
«Hast du eine Säge dabei, für die Gitterstäbe?»
«Nein.»
«Wie willst du uns dann helfen? Hä?», erwiderte der Mann in angewidertem Ton. «Du bist jetzt ein Niemand. Du kannst ja nicht mal die Arme bewegen. Zappelst hier nur rum wie ein Fisch auf dem Trockenen.»
«Meine Schwerter! Die könnten wir nutzen!» Bennosuke wies mit einer Kinnbewegung zu ihnen hinüber.
«Ja, das könnten wir.» Der Bandit nickte. «Aber dafür brauchen wir dich nicht, oder? Ob du’s glaubst oder nicht: Mit einem Schwert umzugehen ist gar nicht so schwer.»
«Bitte!», flehte der Junge eindringlich.
Doch die Banditen beachteten ihn nicht mehr. Sie schnaubten nur gereizt, empört oder mitleidig, wandten sich von ihm ab und tuschelten wieder miteinander. Bennosuke blieb allein und unbeachtet auf seiner Seite des Käfigs. Mit letzter Kraft begann er, sich zu winden und gegen die Fesseln zu sträuben, doch sie hatten sich, seit sie ihm angelegt worden waren, nicht gelockert.
Schließlich gab er es erschöpft auf und kippte zur Seite. Das grobe Sägemehl auf dem Boden schmirgelte über seine glühende Wange, der wochenalte Gestank war ebenso stechend wie die Tränen, die ihm in die Augen traten. Er schloss die Augen und wünschte sich fort – an einen Ort, wo all der Hunger und die langen, kalten Nächte nicht für die Katz gewesen waren. Die vertraute Benommenheit drang von den Schläfen her wieder auf ihn ein, und es fühlte sich an, als würden von dort zwei Daumen in sein Hirn gedrückt.
Als der Schmerz langsam wieder abklang, stellte er fest, dass er die Augen geöffnet hatte. Aus der Gruppe der Banditen sah ihn ein einzelnes Gesicht an. Der Mann war älter als die anderen, hatte kantige, runzlige Züge, und ihm fehlte ein Auge. Das verbliebene Auge war mit kühlem, missbilligendem Blick auf Bennosuke gerichtet.
Das erinnerte ihn an Munisai. Er konnte diesen Blick nicht lange ertragen. Immer noch glühend vor Scham, wandte er sich ab und wartete darauf, wieder in der Bewusstlosigkeit zu versinken.
Die Benommenheit kam und ging, und Bennosuke wurde immer schwächer. Vielleicht lag es an dem Gestank, am Hunger und der Erschöpfung, wahrscheinlich aber vor allem an der Angst, die er ausstand. Er nickte dort, wo er lag, immer wieder ein, dann gab es wieder wache Momente, die vor ihm zu verschwimmen schienen, bis ihn eine neue Aufwallung von Scham wieder in die Bewusstlosigkeit trieb.
Der Tag verging, und die Nacht zog herauf, Orange ging in Blau über und dann wieder in Orange, als funzlige Öl-Laternen angesteckt wurden. Irgendwann spürte er Hände auf sich, und dann lösten sich seine Fesseln.
Er hob den Blick und stellte fest, dass es der Einäugige war.
«Hier wird schon genug gelitten», flüsterte der alte Mann.
Es brauchte einige Zeit, die vielen Knoten zu lösen, aber schließlich war es so weit, und der Junge konnte zum ersten Mal seit einem Tag wieder die Arme bewegen. Er rieb sie sich und begutachtete die roten Striemen, tiefe Abdrücke in dem bisschen Fleisch, das auf seinen Knochen noch übrig war.
«Danke», sagte Bennosuke.
Der Mann nickte und setzte sich mit steifen Gliedern hin. Die anderen Banditen lagen drüben in ihrer Ecke. Einige schliefen, andere starrten ins Nichts. Von draußen hörte man immer noch die Gemarterten, doch statt von tiefster Qual kündeten ihre Laute nun, in der Stille der Nacht, vom nahenden Tod.
«Wie
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