Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
wären sie alte Freunde, vereint in ihrem Abscheu Verbrechern gegenüber. «So ein Dieb gehört ja schließlich ans Kreuz genagelt.»
«Ich danke Euch», sagte der Anführer, und dann hörte Bennosuke, wie er sein Pferd wendete. «Nun denn, ‹Samurai›, wie’s aussieht, trennen sich hier unsere Wege. Stelle dich tapfer deinem Urteil, dann werden die Geister vielleicht nicht so grausam zu dir sein. Ich aber habe kein Erbarmen mit dir …»
Immer noch hoch zu Ross, versetzte er Bennosuke einen Tritt gegen den Kopf. Es tat nicht sehr weh, da der Strohhelm das Schlimmste abfing, aber dem Jungen entschlüpfte trotzdem ein Wimmern.
Dann spürte er, wie seine Leine weitergeworfen wurde, und nun wurde er wieder vorwärtsgezerrt. Hände packten ihn, schoben und zogen ihn in die Enklave hinein. Blind strauchelte er voran, erahnte durch den kleinen Schlitz am Helmrand primitive Hütten und feuchten Schlamm. Etliche Füße gingen vorüber, manche in edlen Samuraisandalen und umsäumt von Kimonos, andere in den groben Strohstiefeln der Wachen, darüber grobe Hosen. Übertönt wurde alles von den Schreien der Gemarterten, die so laut erklangen wie die Rufe lahmender Herdentiere, die ihre davonziehenden Artgenossen in der abendlichen Dunkelheit aus dem Blick verloren haben.
Die Wachen zerrten ihn in ein Gebäude und dann eine kurze, steile Treppe hinab. Sie nahmen ihm den Helm und die Schwerter ab, rührten seine Fesseln aber nicht an, und dann zwangen sie ihn auf die Knie und schubsten ihn in einen niedrigen Käfig aus dicken, hölzernen Gitterstäben. Als er drin war, knallten sie die Tür hinter ihm zu und schlossen ab.
«Die brauchst du nicht mehr!», rief einer der Wärter lachend, fuchtelte mit Bennosukes Schwertern herum und hängte sie an der Wand gegenüber an ein Regal. «Hier habt ihr einen Samurai, Jungs!»
Bennosuke wand sich wie eine Schlange und kam auf die Knie. Das bisschen Licht, das hier hereinschien, tat ihm in den Augen weh. Er sah, dass am anderen Ende des Käfigs eine Gruppe von Männern kauerte. Es waren etwa ein Dutzend, mit dünnen, schmutzigen Leibern, wirrem Haar und wilden Bärten. Die Banditen. Sie sahen ihn argwöhnisch und hasserfüllt an.
«Hallo, Samurai», sagte einer von ihnen in kühlem Ton.
Bennosuke sah die schmutzigen Nägel der Männer, ihre klauenartigen Finger, und dann ging ihm etwas auf: So reglos sie dort auch hockten, im Gegensatz zu ihm waren sie nicht gefesselt.
Die Wärter gingen hinaus und verriegelten hinter sich die Tür. Was dort unten nun geschah, ging sie nichts an: Man brachte Männer nicht hierher, um sie zu bewachen, sondern um sie zu töten, und wenn das statt in der Sonnenglut am Kreuz in einem dreckigen, dunklen Kerker geschah, kümmerte sie das nicht.
Die Banditen beäugten Bennosuke eine ganze Weile. Er versuchte, ihren Blicken furchtlos zu trotzen – obwohl er nicht mehr allzu viel Trotz aufzubieten vermochte. Ihm war klar, dass er ihnen wegen seiner Fesseln ausgeliefert war.
«Sieht aber gar nicht aus wie ’n Samurai», bemerkte schließlich einer von ihnen. «Eher wie ’n zerlumpter kleiner Scheißkerl, oder?»
«Schwerter sind Schwerter», sagte ein anderer.
«Stimmt.»
«Warum er wohl hier ist?», fragte ein dritter, und nun sprachen sie alle über ihn, als ob er sie nicht hören könnte.
«Er hat irgendwas verbrochen, das ist mal klar.»
«Mord?»
«Ein Samurai
mordet
doch nicht. Da haben sie schönere Worte für, auch wenn hinterher trotzdem Tote rumliegen.»
«Vergewaltigung?»
«Das bezweifle ich sehr. Schaut ihn euch doch an. Der hat wahrscheinlich noch nicht mal Haare am Sack.»
«Ich habe niemanden vergewaltigt», wehrte sich Bennosuke und ließ das bisschen Mut, das er noch aufbrachte, in seiner Stimme mitschwingen. «Und ich habe auch niemanden ermordet. Und jetzt bitte ich euch: Bindet mich los.»
Sie lachten über seine Worte, ein grausames Kichern, das unter ihnen die Runde machte. Der Versuch des Jungen, in gebieterischem Ton zu ihnen zu sprechen, so wie sich ein Samurai normalerweise an Bauern wandte, wirkte unter diesen Umständen einfach nur lächerlich. Gleichzeitig schienen sie jegliches Interesse an ihm zu verlieren – vielleicht war er ihnen einfach eine zu leichte Beute – und wandten sich wieder einander zu. Die Ankunft des Jungen hatte sie offenbar bei irgendetwas unterbrochen. Sicher heckten sie etwas aus, wie sie dort in der Ecke beisammenhockten.
Natürlich heckten sie etwas aus: Sie waren ja schließlich
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