Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
der andere. Mehr brachte er nicht heraus. Er sah die Männer an, schüttelte mit Tränen in den Augen den Kopf, verneigte sich zum Abschied und lief in die Siedlung zurück.
«Nein! Du Idiot! Komm zurück!», zischte der Mann am Tor. Er wollte ihm schon nacheilen – sie alle wollten es –, bremste sich aber nach einigen zögernden Schritten.
Drei andere Männer folgten dem ersten zurück in die Siedlung, dorthin, von wo der Rauch aufstieg. Die am Tor verharrten, flehten sie an umzukehren, so laut sie es wagten, aber es nützte nichts. Bennosuke sah sie in den Straßen der Siedlung verschwinden und erlebte damit schon wieder etwas, das er nicht verstand.
Den übrigen Banditen blieb nun keine Wahl mehr: Sie mussten fliehen, denn nur zu bald würden die Samurai die Flucht bemerken. Also liefen sie fluchend und weinend los. Der Junge sprang in den Sattel und trieb das Pferd an, so schnell er es wagte. Diesmal war es hell, und er fühlte sich zwar alles andere als wohl auf dem Tier, fiel aber wenigstens nicht herunter.
Die Straße aus der Siedlung führte durch einen Wald, in dem die Banditen flugs verschwanden. Bennosuke ritt ohne sie weiter; die Samurai würden zuerst nach ihnen suchen. Er folgte einem Waldweg, ließ die ersten beiden Abzweigungen links liegen und entschied sich auf gut Glück für die dritte, die einen Hügel hinaufführte. Der schmale Pfad schlängelte sich dahin, die Zweige der Bäume peitschten Bennosuke, und sein Pferd klagte wiehernd über den unebenen Weg, doch plötzlich kamen sie aus dem Wald heraus, und er konnte über die Baumwipfel hinweg den Hang hinabsehen.
Vor ihm lag klein in der Ferne die Enklave der Burakumin.
In ihrer Mitte, umgeben von einem Ring hoch aufragender Kreuze, an denen noch einige halb zernagte Leichen hingen, befand sich nicht etwa ein Kessel, sondern eine große, rechteckige, kupferne Wanne voll Öl, unter der ein Feuer brannte. Die Samurai, die den übrigen Banditen nicht nachgejagt waren, standen darum herum und betrachteten die fünf Männer, die unter Qualen darin zuckten.
Wie gebannt sah der Junge zu den sich windenden kleinen Gestalten.
Es hatte nie eine Chance gegeben, Shuntaro zu retten. Er war ein toter Mann gewesen, sobald ihn die Samurai aus der Zelle abgeführt hatten. Seine Männer hatten ihm nicht einen einzigen Augenblick der Qual ersparen können. Hatten sie etwa geglaubt, ihre Gegenwart würde ihn irgendwie trösten, oder wollten sie sich selbst davon überzeugen, dass sie keine Feiglinge waren? Wollten sie damit beweisen, dass sie durchaus etwas von Pflicht und Ehre verstanden?
Was hatten sie damit erreicht? Und was machte das überhaupt für einen Unterschied?
Einen der Männer, das fiel Bennosuke jetzt wieder ein, hatte den Shuntaro als seinen Sohn angesprochen. Welcher war es? Die nackten Leiber sahen alle gleich aus, zuckten dort in der Ferne vor sinnlosen Qualen.
Der Hügel, auf dem er sich befand, war in einigem Umkreis die höchste Erhebung, und so sah der Junge diese Siedlung im Verhältnis zur sonstigen Welt. Es war das einzige Menschenwerk inmitten von Wäldern, Hügeln, Felsen, Bächen, unter dem Himmel und den Wolken. Die Siedlung erschien neben all dem so unwichtig, wurde durch diese Perspektive aller Bedeutsamkeit beraubt, doch für die Männer, die sich aus Loyalität, Pflichtgefühl oder Liebe für den Tod entschieden hatten, war das, was dort geschah, das einzig Wichtige.
Es war vollkommen sinnlos. Die Hügel würden ebenso wenig von der Anständigkeit oder Verkommenheit ihrer Taten künden, wie Dampf etwas über die Gestalt des Wassers aussagen konnte.
Und immer noch stieg der Rauch auf, wie er es auch über Munisais Scheiterhaufen getan hatte, und Bennosuke verstand es einfach nicht. Das Bild verschwamm, und er spürte wieder die alte Benommenheit. Nachdem nun die Aufregung der Flucht abgeklungen war, hatte ihn die Erschöpfung wieder eingeholt, und er fühlte sich in seinem Körper nur vage gegenwärtig. Die Welt war groß, jene Männer waren weit entfernt, er war frei – das war alles, was er wusste, und so machte er kehrt und trieb sein Pferd von dieser Stätte des Todes fort.
Kapitel 14
E in Erdbeben weckte ihn. Bennosuke spürte zwar kaum etwas davon, aber die alten Balken und Pfeiler des Wirtshauses ächzten. Einer der Männer, die neben ihm schliefen, murmelte mit nach Sake und Galle stinkendem Atem eine verkaterte Verwünschung und schlief wieder ein. Bennosuke blieb wach und sah dem Mann beim Schnarchen zu,
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