Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
neidisch auf etwas, das ihm nun endgültig genommen war. Es war der Tag des Reitertreffens.
Er stand auf, wusch sich und frühstückte. Das Wirtshaus war rappelvoll, allerdings nicht mit Samurai. Seine Schlafkameraden waren Händler, Musiker, Hufschmiede, Köche, Dichter, Tänzer, sabbernde Schwachsinnige und Fanatiker mit großen Augen, und sie alle waren gekommen, um sich das Reitertreffen anzusehen oder dabei Geld zu verdienen. Bennosuke beäugten sie argwöhnisch.
Er beachtete sie nicht weiter und machte sich bereit. Noch einmal überprüfte er, dass der Dolch, den Tasumi ihm geschenkt hatte, fest an sein Handgelenk geschnallt war. Dann ließ er den Kimonoärmel darüber herab und verließ das Wirtshaus.
Zum ersten Mal seit einem Jahr genoss er einen gewissen Komfort. Das Pferd, das er in der Enklave gestohlen hatte, war mit allerhand Säcken und Taschen behangen gewesen, und zu seiner Freude hatte er darin auch einen kleinen Geldbeutel entdeckt. Er hatte in richtigen Betten geschlafen und anständige Mahlzeiten zu sich genommen, und dann war sogar noch genug Geld übrig geblieben, um in einer heißen Quelle zu baden und sich neu einzukleiden.
Während er dort im Wasser lag, ließ er sich einen Spiegel bringen und stellte fest, wie er sich verändert hatte. Monatelang hatte er keinen Gedanken an sein Äußeres verschwendet. Sein Gesicht, das sich goldfarben im blanken Kupfer spiegelte, war hager. Sein leuchtend roter Ausschlag war größtenteils abgeheilt, aber es waren kleine Flecken und Narben davon zurückgeblieben, die er sehen und tasten konnte.
Sein Haar sah seltsam aus: das auf der zuvor kahlrasierten Kopfoberseite war nun etwa ein Viertel so lang wie der Rest, und alles war so verfilzt, dass kein Kamm mehr hindurchkam. Man konnte es nur radikal abschneiden. Hinterher hing ihm das fingerlange Haar um den Kopf, wie er es seit seiner Kindheit nicht mehr getragen hatte. Er warf die abgeschnittenen Strähnen in ein Kohlenbecken, und es stank abscheulich.
Das Pferd wartete im Stall auf ihn. Es hatte sich inzwischen an ihn gewöhnt. Bennosuke blieb auf dem Strohboden einen Moment lang davor stehen und sah es an, dann legte er ihm eine Hand unters Maul, schloss die Augen und lehnte seine Stirn an die der Stute.
Sie war das einzige Wesen hier, das wusste, wer er wirklich war und was dieser Tag bedeutete.
Die beiden Wochen seit seiner Flucht aus dem Dorf der Burakumin waren schnell vergangen, und er war vollauf damit beschäftigt gewesen, sich an den Reitunterricht zu erinnern, den Tasumi ihm in seiner Kindheit gegeben hatte. Allerdings hatte er ihm nur die Grundlagen beigebracht, und Bennosuke hatte allenfalls auf einer Koppel im Kreis kantern dürfen, während sein Onkel ihm Ratschläge zurief. Auf einem Pferd zu sitzen, das in vollem Galopp dahinpreschte: Das war dann doch noch einmal etwas ganz anderes.
Bennosuke fiel immer wieder aus dem Sattel, und wenn er sich atemlos oder gar blutend wieder aufrappelte, guckte ihn das Pferd jedes Mal an. Als er sich das erste Mal für sein Versagen bei der Stute entschuldigt hatte, hatte er sich selbst damit verblüfft, doch dann wuchs dieser Mitteilungsdrang. Bald flüsterte er ihr ständig etwas zu, erzählte ihr von seiner Mission, von Munisai und Hayato und warum Letzterer den Tod verdiente.
Es war schön, nach so langer Zeit wieder einen Gefährten zu haben. Er sprach weiter und weiter, ebenso zu sich selbst wie zu der Stute, erinnerte sich an das grauenhafte gedehnte Stöhnen, das Munisai kurz vor seinem Tod ausgestoßen hatte, und an Hayatos höhnisch-triumphierenden Blick. Sein Zorn wuchs und umschloss ihn schließlich wie eine Rüstung.
Allmählich machten sie Fortschritte: Die Stute kannte nun seinen Geruch und sein Gewicht, und er wusste, wie er sie am besten ritt. Er war ganz gewiss kein Meister darin, war ohne Zügel in den Händen unsicher, aber er musste ja auch kein großer Reiter werden. Er brauchte nur den Dolch in der Hand. Er brauchte nur eine gute Balance. Er brauchte nur Mut. Und dieser drei Dinge war er sich gewiss.
Im Stall nun, im Licht seines letzten Morgens, schmiegte die Stute ihren Kopf in seine Hand. Er lächelte entzückt. Der Tag war gekommen, endlich war es so weit, das flüsterte er ihr zu und dankte ihr, dass sie bei ihm war, am Endpunkt all dessen, wofür er so gelitten hatte.
Bennosuke gestattete sich dieses Lächeln jedoch nur kurz. Es gab immer noch viel zu tun. Er nahm sich zusammen, setzte eine neutrale Miene auf, stieg
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